2.2.4.2.1 Sicherungsanordnung

 

Rz. 87

Ein Anordnungsgrund für eine Sicherungsanordnung besteht dann, wenn die Gefahr einer Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung besteht (Abs. 2 Satz 1). Die Rechtsverwirklichung wird vereitelt, wenn sich das gefährdete Recht im Hauptsacheverfahren nicht mehr durchsetzen lässt. Sie wird wesentlich erschwert, wenn zu befürchten ist, dass eine Zustandsveränderung den Erfolg im Hauptsacheverfahren weitgehend entwerten würde. Die bloße Möglichkeit beeinträchtigender Maßnahmen ist noch keine Gefahr. Es müssen Tatsachen vorliegen, die auf eine unmittelbar bevorstehende Veränderung schließen lassen (konkrete und objektive Gefahr; vgl. Keller, SGG, § 86b Rn. 27a). Der Anordnungsgrund liegt bei der Sicherungsanordnung in der Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes.

Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden, so dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen ist. Ist die Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bestehen unterschiedliche Auffassungen zu der maßgebenden, höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage, für die jeweils gute Gründe sprechen, so ist die Klage in der Regel nicht offensichtlich begründet (vgl. hierzu Keller, SGG, § 86b Rn. 29 m. w. N.).

 

Rz. 88

Bei offenem Ausgang (vgl. Rz. 80) ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Bei der Interessenabwägung ist insbesondere eine drohende Verletzung von Grundrechten und deren Intensität zu berücksichtigen, aber auch sonstige Kriterien wie beispielsweise die wirtschaftlichen Verhältnisse (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 11.8.2011, L 4 P 8/11 B ER).

2.2.4.2.2 Regelungsanordnung

 

Rz. 89

Für die Regelungsanordnung (Abs. 2 Satz 2) fordert das Gesetz, dass eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Es muss die Gefahr bestehen, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG zum einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren (BVerfG, Beschluss v. 25.10.1999, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79 S. 69, 74) wurde unter der Geltung des früheren Rechts von den Sozialgerichten ganz überwiegend gefordert, dass dem Antragsteller schwere irreparable und unzumutbare Nachteile drohen (vgl. nur LSG NRW, Beschluss v. 27.11.1997, L 11 SKa 35/91; Beschluss v. 24.6.1997, L 11 SKa 20/97; Beschluss v. 15.5.1996, L 11 SKA 21/98). Dieser Rechtsprechung ist infolge der gesetzlichen Neuregelung die Grundlage entzogen (vgl. Rz. 77; vgl. auch Frehse, in: Schnapp/Wigge, § 23 Rn. 121, 126), wenngleich daran für Leistungen nach dem SGB II angesichts dessen spezifischen Zielsetzung festgehalten wird (vgl. Rz. 81, 82). Ungeachtet dieser Unterschiede besteht nach wie vor ein Wertungsspielraum des Gerichts, in dessen Rahmen z. B. auch berücksichtigt werden kann, ob der Antragsteller die begehrte Leistung auf zumutbar anderem Wege erlangen kann (vgl. Rz. 98).

 

Rz. 90

Der unbestimmte Rechtsbegriff "zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint" in § 86b Abs. 2 Satz 2 erfordert eine Interessenabwägung nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Die bloße Besorgnis eines Eingriffs reicht dann aus, wenn diese erheblich ist; eine allgemein Ungewissheit genügt nicht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 940 Rn. 1). Ein Anordnungsgrund ist danach anzunehmen, wenn dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist; dabei sind die öffentlichen Interessen jener der Verfahrensbeteiligten gegenüberzustellen. Insbesondere sind die Folgen abzuwägen, die mit dem Erlass bzw. dem Nicht-Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden sind. Einzubeziehen sind dabei u. a. die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Intensität einer drohenden (Grund-)Rechtsverletzung und sonstige unbillige Härten der Beteiligten. Die mit jedem Hauptsacheverfahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile reichen für den Erlass einer Regelungsanordnung nicht aus (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 3.11.2011, L 3 KA 104/10 B ER). Drohen dem Antragsteller ohne die beantragten Leistungen existentielle Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann und stehen dem seitens der Behörde "nur" finanzielle Nachteile gegenüber, wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren nicht durchdringen sollte, kann die Folgenabwägung für den einstweiligen Rechtsschutz sprechen. Dies gilt Insbesondere dann, wenn sich die finanziellen Nachteile dadurch in Grenzen hal...

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