1 Allgemeines
1.1 Historie, Sinn und Zweck
Rz. 1
§ 92 ist durch das SGGArbGÄndG v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung zum 1.4.2008 neu gefasst worden (siehe hierzu auch unter § 90 Rn. 1). Anstelle der vorherigen reinen Soll-Bestimmungen enthält die Vorschrift seitdem für einen Teil der Formvorschriften eine zwingende Regelung, die bei entsprechender Fristsetzung zu einem Ausschluss des Vorbringens führen kann. Die Fristenregelung des neuen Abs. 2 entspricht derjenigen des § 82 Abs. 2 VwGO, so dass auch auf die hierzu ergangene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Die verbliebenen Soll-Bestimmungen sind detaillierter gestaltet und ebenfalls der VwGO angepasst worden. § 82 Abs. 1 VwGO stimmt aber nicht vollständig mit § 92 Abs. 1 überein; insbesondere enthält § 92 Abs. 1 in Satz 2 eine erleichternde Bestimmung zur Bezeichnung des Beklagten.
§ 92 enthält Formvorschriften für die Klage, unabhängig davon, ob sie schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten erhoben wird. Zweck der Regelung ist es einerseits, den Rechtsschutz durch Inanspruchnahme der Sozialgerichte vor allem auch für Rechtsunkundige zu erleichtern; andererseits soll das Gericht durch Festlegung bestimmter Mindestvoraussetzungen in die Lage versetzt werden, seiner Aufklärungspflicht nach § 106 nachzukommen. Wird dem Gericht das Begehren nicht mitgeteilt, kann es unter Umständen nicht weiter ermitteln. Das Gericht ist gemäß § 106 aber gehalten, auf die Vervollständigung der Klage hinzuwirken. Fehlende Angaben können nachgeholt werden, soweit nicht eine Frist mit ausschließender Wirkung nach Abs. 2 Satz 2 verstrichen ist.
Die Klage darf nicht etwa ausgetragen werden, weil sie trotz Erinnerungen nicht begründet wird (LSG Schleswig-Holstein, Breithaupt 1995 S. 551 ff.). Seit Inkrafttreten des SGGArbGÄndG mit Wirkung v. 1.4.2008 kommt aber eine fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 in Betracht.
1.2 Anwendungsbereich
Rz. 2
§ 92 gilt über die allgemeinen Verweisungsnormen der §§ 153 Abs. 1, 165 auch für die Berufungs- und Revisionsinstanz. Das gilt insbesondere für die Aufforderungen nach Abs. 2. Wegen der Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG stellt sich aber in bestimmten Fallgestaltungen die Frage, ob die Regelung uneingeschränkt angewendet werden kann. Wird die Klage beispielsweise wegen fehlender Anschrift als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht zugeordnet werden kann (vgl. Rn. 9), so ist fraglich, ob im Rahmen des Berufungsverfahrens eine ausschließende Frist angenommen werden kann, wenn gerade über die Frage der Vollständigkeit der Anschrift gestritten wird (so auch Ortloff/Riese, in: Schoch, § 82 VwGO Rn. 4a, m. w. N.). Denn dies würde zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen.
§ 92 gilt auch für das einstweilige Verfahren.
2 Rechtspraxis
2.1 Begriff der Klage
Rz. 3
Wenngleich die einzelnen Elemente, welche üblicherweise eine Klageschrift ausmachen, gemäß § 92 nicht unabdingbar sind – soweit kein Ausschluss nach Abs. 2 Satz 2 vorliegt –, so muss doch erkennbar sein, dass es sich überhaupt um eine Klage handeln soll. In Zweifelsfällen ist eine Auslegung vorzunehmen. Unter einer Klage wird eine Prozesshandlung verstanden, mit welcher jemand zum Ausdruck bringt, er wolle eine konkrete Angelegenheit gerichtlich überprüfen lassen.
Es muss also das Begehren gerichtlichen Rechtsschutzes erkennbar sein. Es kommt insoweit nicht allein auf die Bezeichnung der Erklärung an. Unschädlich kann daher eine Bezeichnung als Widerspruch oder als Beschwerde sein, wenn sich das Begehren gerichtlichen Rechtsschutzes aus dem sonstigen Inhalt der Erklärung ergibt (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 9.8.2006, B 12 KR 22/05 R, USK 2006 S. 75; BSG, Urteil v. 31.1.1974, 4 RJ 167/73, Breithaupt 1974 S. 811; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 25.11.2009, L 8 B 458/09 R ER, NZS 2010, 120; LSG NRW, Beschluss v. 12.5.2010, L 7 AS 325/10 B, juris, Rn. 7; Beschluss v. 28.2.2008, L 9 AS 7/08 ER, juris, Rn. 11; LSG Bayern, Urteil v. 27.11.2009, L 14 R 978/08, juris). Umgekehrt wird man zumindest im Regelfall von einer Klage ausgehen dürfen, wenn die Erklärung so bezeichnet wird; dies ist jedoch nicht zwingend.
Rz. 4
Zum einen ist eine Abgrenzung zu anderen Rechtsbehelfen vorzunehmen, z. B. auch zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Das Vorliegen einer solchen Beschwerde oder einer Gegenvorstellung muss insbesondere dann ausgeschlossen werden, wenn die Erklärung bei der betroffenen Behörde eingereicht worden ist und die Behörde diese Erklärung ohne weiteres an das Gericht abgibt, weil sie sie für eine Klage hielt (vgl. hierzu LSG NRW, Urteil v. 8.5.2001, L 6 SB 119/00). Zum anderen muss geprüft und ggf. auch durch Rückfrage ermittelt werden, ob sich der Rechtssuchende zwar an ein Gericht wenden, aber dennoch keine Klage erheben wollte. Möglicherweise begehrt er lediglich eine Auskunft durch das Gericht oder er kündigte die Erhebung einer Klage zunächst nur an. Läuft zu diesem Zeitpunkt bereits die Klagefrist des § 87, sollte das Gericht ihn hierauf hinweisen.
Rz. 5
Im Übrigen muss sich der Erklärung entnehmen lassen, dass eine...