2.1 Eintritt der Rechtshängigkeit
2.1.1 Standardfall
Rz. 2
Die Rechtshängigkeit tritt im Standardfall nach Satz 1 der Vorschrift durch Erhebung der Klage ein. Die Klage muss i. S. d. § 90 schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten erhoben worden sein. Eine wirksame Klageerhebung in diesem Sinne liegt vor, wenn die – grundsätzlich in deutscher Sprache abgefasste – schriftliche Klage in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist oder die Niederschrift des Urkundsbeamten zum Abschluss gekommen ist (siehe hierzu auch die Kommentierung zu § 90). Unerheblich ist, ob die Klage zulässig ist oder ob sie Aussicht auf Erfolg hat. Die Rechtshängigkeit wird auch nicht durch die Regelungen über die Mindestanforderungen der Klage nach § 92 Abs. 1 Satz 1 berührt, selbst wenn eine ausschließende Wirkung nach § 92 Abs. 2 Satz 2 eingetreten ist. Dies bewirkt lediglich die Unzulässigkeit der Klage; die Klage bleibt dennoch wirksam erhoben i. S. d. § 90.
Auch die Erhebung der Klage vor einem unzuständigen Gericht führt zu einer durchgehenden Rechtshängigkeit. Durch die Verweisung an das zuständige Gericht bleiben die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen, § 202 bzw. § 98 SGG i. V. m. § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG. Damit wirken auch die Regelungen der anderweitigen Prozessordnungen fort. Wird z. B. irrtümlicherweise von der Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit ausgegangen und zuerst eine Zustellung eines Mahnbescheids erwirkt, so führt eine Verweisung durch das Zivilgericht an das zuständige Sozialgericht dazu, dass der Streitgegenstand mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden ist, § 696 Abs. 3 ZPO (so im Fall des BSG, Urteil v. 13.5.2004, B 3 KR 2/03 R, SGb 2004 S. 414, SozR 4-2500 § 132a Nr. 1 = USK 2004 S. 60).
Rz. 3
Keine Klageerhebung liegt mit (fristwahrender) Einreichung der Klageschrift bei einer der in § 91 aufgeführten Stellen vor. Die Klage ist vielmehr erst mit Eingang bei dem (zuständigen) Gericht erhoben; durch § 91 kann lediglich der fristgemäße Eingang der Klageschrift fingiert werden. Die Streitsache wird also erst mit Eingang bei dem Gericht rechtshängig, bei dem die Klage erhoben werden soll. Wird die Klage bei einem unzuständigen Gericht eingereicht, ist ggf. eine Auslegung vorzunehmen, was gewollt war – eine Einreichung nur zum Zwecke der Fristwahrung oder die dortige Klageerhebung.
2.1.2 Überlange Gerichtsverfahren
Rz. 4
In Verfahren nach § 198 GVG wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens wird die Streitsache nach § 94 Satz 2 erst mit der Zustellung der Klage rechtshängig. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG sind die Regelungen der ZPO für diese Verfahren entsprechend anzuwenden. Insoweit kann vollumfänglich auf die zu § 253 Abs. 1 ZPO vorhandene Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden. Der neue Satz 2 des § 94 entspricht § 261 Abs. 1 ZPO.
Das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ist nicht Teil des Gerichtsverfahrens (BSG, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4).
2.2 Ende der Rechtshängigkeit
Rz. 5
Die Rechtshängigkeit endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens durch Urteil oder Gerichtsbescheid bzw. durch Klagerücknahme (§ 102 Abs. 1 und 2), Prozessvergleich (§ 101 Abs. 1), Annahme eines Anerkenntnisses (§ 101 Abs. 2), Rechtsmittelrücknahme (§§ 156, 165), übereinstimmende Erledigungserklärung (§ 202 SGG i. V. m. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO) oder zulässige Klageänderung (§ 99).
Sie endet dagegen nicht durch eine Weglegung der Akten nach der Aktenordnung, z. B. 6 Monate nach Rechtskraft eines Ruhensbeschlusses (BSG, Beschluss v. 12.2.2015, B 10 ÜG 8/14 B, SozR 4-1720 Nr 198 Nr. 8; BSG, SozR § 185 Nr. 4 = SGb 1966 S. 317 = Breithaupt 1967 S. 356). Ebenso wenig endet sie durch einen rein außerprozessualen Vorgang wie einen außergerichtlichen Vergleich; in einem solchen Fall muss noch eine einseitige (vgl. insoweit die Kommentierung zu § 102 Rn. 3) oder beidseitige Erledigungserklärung hinzukommen.
Rz. 6
Die Rechtshängigkeit kann auch teilweise enden, etwa durch teilweise Erledigterklärung, Teilurteil oder Annahme eines Teilanerkenntnisses. So kann insbesondere das Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt werden, aber hinsichtlich der Kosten weiter rechtshängig bleiben (vgl. § 102 Abs. 3 Satz 1, § 193 Abs. 1 Satz 3).
Rz. 7
Die Rechtshängigkeit endet in einem Rechtszuge mit der Einlegung eines Rechtsbehelfs mit Devolutiveffekt. Dann tritt Rechtshängigkeit in der nächsthöheren Instanz ein. Auch insoweit ist es denkbar, dass die Rechtshängigkeit in der unteren Instanz nur zum Teil endet, z. B. im Falle eines Zwischenurteils (vgl. § 130 Abs. 2 i. d. F. des 6. SGGÄndG).
Rz. 8
Hat das Gericht bei seiner Entscheidung einen rechtshängigen Teil übersehen, kann nach § 140 Abs. 1 Satz 1 eine Ergänzung des Urteils beantragt werden. Geschieht dies nicht innerhalb der Monatsfrist des § 140 Abs. 1 Satz 2, so endet auch die Rechtshängigkeit des übergangenen Teils. Das gilt selbst dann, wenn wegen des restlichen Teils ein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Ein Rechtsmittel in Bezug auf den übergangenen Teil ist unzulässig, denn insoweit enthält das angefochtene Urteil keine Beschwer (BSGE 17 S. 11, 14; BSG, Breitha...