2.1 Antragstellung
Rz. 3
§ 16 gilt uneingeschränkt ohne den Vorbehalt abweichender Regelungen in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches (vgl. § 37 Satz 2). Damit werden allerdings Ergänzungen und Sonderregelungen nicht ausgeschlossen. § 16 definiert nicht den Begriff des Antrages i. S. d. § 16. Ein Antrag auf Sozialleistungen ist eine öffentlich-rechtliche, empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass eine mehr oder weniger genau bestimmte Leistung oder ein Leistungsbündel begehrt wird. In diesem Sinne ist der Antrag auf eine bestimmte Leistung als Antrag auf die Leistungen aufzufassen, die dem Antragsteller aus konkretem Anlass, z. B. der Teilnahme an einer Maßnahme, zustehen. Wer zu einem bestimmten Sachverhalt Leistungen beantragt, will damit im Zweifel die für ihn günstigsten Ansprüche geltend machen, die ihm gegenüber dem Leistungsträger zustehen (Meistbegünstigungsgrundsatz). Das gilt insbesondere bei gleichem Zweck dienenden Leistungen, von denen jeweils nur eine gewährt werden kann (BSG, Urteil v. 25.10.1984, 7 RAr 10/84). Dem entspricht es, wenn der Leistungsträger den wirklichen Willen des Antragstellers in dem Sinne erforscht (vgl. § 133 BGB), dass die in Betracht kommenden Sozialleistungen möglichst weitgehend erbracht werden können (vgl. BSG, Urteil v. 23.10.1996, 4 RLw 8/96). Aufgrund dieses Rückgriffes auf die allgemeinen Regelungen bedurfte es keiner konkreten Normierung von Voraussetzungen für die Wirkung gestellter Anträge. Anträge werden als Willenserklärung zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem sie dem Sozialleistungsträger zugehen. Dazu muss allerdings das Begehren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden. Anträge können bis zur Wirksamkeit der Entscheidung über die Bewilligung der beantragten Leistung zurückgenommen werden.
Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 33 Abs. 1 SGB XI setzt eine wirksame Antragstellung voraus. Der Antragsteller muss gemäß § 16 SGB I unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Sozialleistungen in Anspruch nehmen will. Maßgeblich ist, wie der Leistungsträger den gestellten Antrag zu verstehen hat. Hat der Betreffende bei der Behörde lediglich nachgefragt, ob er eine Haushaltshilfe bzw. einen Pflegegrad beantragen kann und ggf. um die Zusendung entsprechender Formulare gebeten, sich aber nach erfolgter Übersendung bei der Behörde nicht mehr gemeldet, so fehlt es an einer wirksamen Antragstellung. Eine Leistungsbewilligung ist dann ausgeschlossen (SG Duisburg, Urteil v. 10.11.2023, S 38 P 50/21). Im entschiedenen Verfahren hatte der Antragsteller nur ausgeführt, dass er erst in Erfahrung bringen will, ob er eine Haushaltshilfe bzw. eine Pflegestufe beantragen kann und wenn dies der Fall ist, um Zusendung der entsprechenden Formulare gebeten. Der Leistungsträger hatte daraufhin mit einem Schreiben das entsprechende Formular zur Beantragung von Pflegeleistungen übermittelt und entsprechende Beratungsblätter übersandt und mitgeteilt, dass er jederzeit mit den Formularen einen Pflegeantrag bei ihm stellen könne. Er hatte damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Schreiben des Betroffenen nicht als Antrag versteht.
Rz. 4
Anträge können grundsätzlich ohne Bindung an eine bestimmte Form gestellt werden, also schriftlich, mündlich oder auch durch konkludentes Handeln. Damit werden Barrieren für den Bürger abgebaut, der Sozialleistungen begehrt. Welche Bedeutung dem Antrag beizumessen ist, wird in den besonderen Büchern für jede Leistung gesondert geregelt. Grundsätzlich kann ein Antrag materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung sein oder nur verfahrensrechtliche Bedeutung haben, nicht jede Sozialleistung ist von einem Antrag abhängig. Ein Antrag ist grundsätzlich wirksam gestellt, wenn er beim Leistungsträger eingegangen ist. Im existenzsichernden Bereich wird vielfach angenommen, dass der Leistungsträger von sich aus und ohne Antragstellung Leistungen zu erbringen hat, wenn ihm Anhaltspunkte für Hilfebedürftigkeit vorliegen. Diese Überlegung folgt aus dem Gegenwärtigkeitsprinzip des SGB XII, nach dem Leistungen für die Vergangenheit nicht mehr zu gewähren sind ("Gelebt ist gelebt."). Der Gesetzgeber hat hiervon im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende Abstand genommen, Anträge wirken jedoch auf den Beginn des Kalendermonats der Antragstellung zurück (vgl. § 37 SGB II). Für die Sozialhilfe (§ 16 SGB XII) genügt also auch schon eine Tatsachenmitteilung, die dem Leistungsträger Kenntnis über die Notlage des Betroffenen verschafft. Im Übrigen stellen aber Tatsachenerklärungen, die keine Willenserklärung enthalten, keinen Antrag dar.
Ein Antrag auf Sozialleistungen als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ist erst gestellt, wenn er in den Machtbereich des Sozialleistungsträgers gelangt, sofern nicht ausnahmsweise die Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 zur Anwendung kommt (BSG, Beschluss v. 4.4.2022, B 12 R 27/21 B, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 26.1.2000, B 13 RJ 37/98 R).
Rz. 5
Ein Antrag (auf ...