0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) mit Wirkung zum 1.1.1976 in Kraft getreten und seither nicht geändert worden.
1 Allgemeines
Rz. 2
Abs. 1 der Vorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 7/868 S. 23) wie folgt begründet worden: "Die Vorschrift bildet die Einleitungs- und Grundsatznorm für die in §§ 3 bis 10 genannten sozialen Rechte. Sie stellt in Satz 1 klar, dass die in den sozialen Rechten verankerten Leitvorstellungen der einzelnen Sozialleistungsbereiche sich als weitere Konkretisierung der in § 1 genannten Aufgaben des Sozialgesetzbuchs verstehen. Satz 2 verdeutlicht eine Eigenart aller sozialen Rechte, die in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder hervorgehoben wird. Anders als Freiheitsrechte können sie nicht so gefasst werden, dass sich ihr Inhalt aus ihnen selbst in allen Einzelheiten ergibt. Vielmehr sind sie auf Teilhabe und damit auf ein Tätigwerden des Verpflichteten – d. h. des Staates und der von ihm geschaffenen Institutionen – gerichtet. Durch Satz 2 wird deshalb sichergestellt, dass die sozialen Rechte als Anspruchsgrundlage weder für im Gesetz nicht vorgesehene Sozialleistungen noch für die Erstreckung vorgesehener Sozialleistungen auf vom Gesetz nicht bedachte Personen noch für die Bereitstellung sozialer Einrichtungen herangezogen werden können. Die Funktion der sozialen Rechte als Leitlinien für die Anwendung der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs (vgl. Begründung A VII zu 1., BT-Drs. 7/868 S. 20 f.) wird hierdurch ebenso wenig berührt wie dadurch, dass sie entsprechend ihrer Zweckbestimmung und Struktur nicht jeden nur möglichen Sozialleistungsanspruch abdecken. Die mit den sozialen Rechten zusammenhängenden Pflichten können nicht in gleicher Weise als Leitlinien des Sozialrechts formuliert werden, weil sie teils nur in wenigen Einzelbereichen von Bedeutung sind (z. B. Beitragspflicht), teils als Mitwirkungspflichten die Inanspruchnahme von Sozialleistungen voraussetzen und damit in engem Zusammenhang mit der Regelung der Leistungsansprüche stehen. Daher werden die Mitwirkungspflichten im Dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils nach den Grundsätzen des Leistungsrechts und die anderen Pflichten in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs normiert."
Rz. 3
Abs. 2 ist erst auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung angefügt und damit begründet worden, dass damit sichergestellt werden solle, dass Verwaltung und Rechtsprechung bei der Auslegung und Fortbildung des Sozialrechts sowie bei der Ausübung von Ermessen nach einheitlichen Grundsätzen handeln und im Rahmen ihres Handlungs- oder Beurteilungsspielraums anstreben, die sozialen Rechte nach den §§ 3 bis 10 möglichst weitgehend zu verwirklichen (BT-Drs. 7/3786 S. 2). Diese werden wiederum durch die Einweisungsvorschriften in den §§ 18 bis 29 ergänzt.
Rz. 4
Die Vorschrift soll mit dem Hinweis auf soziale Rechte einerseits der weiteren Konkretisierung der in § 1 genannten Aufgaben des Sozialgesetzbuchs dienen, zugleich werden jedoch Umfang und Grenzen der in §§ 3 bis 10 benannten sozialen Rechte aufgezeigt, indem darauf hingewiesen wird, dass sich trotz der Bezeichnung als "soziale Rechte" die konkreten Ansprüche, als Forderungsrechte gegenüber Sozialleistungserbringern, nur aus den Vorschriften der einzelnen Sozialleistungsbereiche ergeben und ergeben können. Ihre praktische Bedeutung besteht in erster Linie in dem vom Gesetzgeber geschaffenen Optimierungsgebot, das für alle Bereiche des Sozialrechtsverfahrens zu beachten ist. Dies zeitigt Folgen nicht nur bei Auskunft und Beratung oder Antragstellung, sondern auch bei der Auslegung insbesondere unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ermessensausübung der Sozialleistungsträger.
2 Rechtspraxis
2.1 Soziale Rechte
Rz. 5
Hintergrund der Regelung ist, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt, die rechtstheoretische Diskussion um soziale Grundrechte. Dabei handelt es sich um die Frage, ob vorhandene oder zu schaffende Regelungen über soziale Sicherung, die für den Bürger immer wichtiger werden, nicht auch in der Verfassung zu verankern seien oder sich aus der Verfassung als Gewährleistung ergeben sollten. Das allgemeine Ziel des sozialen Rechtsstaats beinhaltet und nimmt zwar die vorhandenen Rechtspositionen in Bezug, gewährleistet diese jedoch nicht und auch nicht in einem bestimmten rechtlichen Umfang. (Zum Rückgriff auf das Sozialstaatsgebot als Auslegungshilfe auf sozialrechtlichem Gebiet vor dem SGB I vgl. Ricke, SGb 1962, 403, sowie nunmehr die Kontroverse zwischen Eichenhofer und Fichte, SGb 2011, 301, 492, 511.) Eine verfassungsrechtliche Festlegung von bestimmten Ansprüchen auf soziale Leistungen scheitert jedoch daran, dass die Gesellschaft und damit auch der Bedarf an sozialen Rechten einem ständigen Wandel unterliegt, sodass soziale Grundrechte letztlich nicht abschließend bestimmt werden können. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich bei bestimmten Bedarfslagen erst im Zusammenhang mit bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen die Notwendigkeit gesetzlicher ...