0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem SGB I durch das Gesetz v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) zum 1.1.1976 in Kraft getreten.
Mit Art. II § 15 Nr. 1 Buchst. o des Sozialgesetzbuchs (SGB) – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) wurde der Abs. 2 mit Wirkung zum 1.7.1983 dahingehend geändert, dass der bisherige Vorbehalt zugunsten abweichenden Rechts der besonderen Teile des SGB gestrichen und in § 37 geregelt wurde.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Die Vorschrift bestimmt den personellen und räumlichen Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs nach dem Territorialitätsprinzip (Abs. 1). Sie ist auch mit der grundsätzlichen Geltung des Territorialitätsprinzips begründet worden (BT-Drs. 7/868 S. 27). Da die Vorschrift aber nicht alle sich auf dem Hoheitsgebiet befindlichen Personen erfasst, sondern nur solche mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (Definitionen in Abs. 3), kann statt vom Territorialprinzip auch vom Wohnort- oder Wohnlandprinzip gesprochen werden.
Rz. 2
Die Anknüpfung an das Territorialitätsprinzip steht unter dem Vorbehalt über- und zwischenstaatlichen Rechts (Abs. 2) und darüber hinaus unter dem Vorbehalt abweichender Vorschriften in den besonderen Teilen des SGB nach § 37, was in Abs. 2 nicht mehr ausdrücklich erwähnt ist.
2 Rechtspraxis
2.1 Territorialitätsprinzip (Abs. 1)
Rz. 3
Die Anknüpfung der Geltung der Vorschriften des SGB an das Territorialitätsprinzip geht auf den völkerrechtlichen Grundsatz zurück, dass jeder Staat Rechtsetzungs- und Hoheitsgewalt nur auf seinem Territorium besitzt. Dieser räumliche Herrschaftsbereich ("Geltungsbereich") wird in der Vorschrift, das Gebiet der BRD nach der Wiedervereinigung umfassend, als gegeben unterstellt. Dies ist mit dem Begriff des Inlands (z. B. in § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) identisch. Für den Bereich der Sozialversicherung erstreckt sich der Geltungsbereich auch auf unter Bundesflagge fahrende Seeschiffe (vgl. §§ 11,13 SGB IV und Komm. dort).
Rz. 4
Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass die Geltung des Sozialrechts mit allen Rechten und auch Pflichten unabhängig von der Staatsbürgerschaft alle Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland erfasst (Wohnsitzgrundsatz). Aus dem Territorialitätsgrundsatz folgt allerdings nicht, dass Sozialleistungen nur im Inland zu erbringen sind. Die VO (EG) 883/2004 sieht stattdessen in Art. 7 ausdrücklich vor, dass Sozialleistungen in Geld auch an Personen zu leisten sind, die ihren Wohnsitz nicht in dem Mitgliedsstaat haben, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Regelungen zur Zahlung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ins Ausland finden sich in §§ 110 bis 114 SGB VI, die Zahlung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ins Ausland ist grundsätzlich nicht beschränkt (§ 97 Nr. 1 SGB VII). Lohnersatzleistungen wegen Arbeitslosigkeit setzen Verfügbarkeit voraus (vgl. dazu Art. 64 VO (EG) 883/2004).
Rz. 4a
Nach verfassungskonformer Auslegung des § 30 Abs. 1 steht der grenznahe Auslandswohnsitz dem Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer zuvor im Inland wohnhaft und beitragspflichtig war und die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerfG, Beschluss v. 30.12.1999, 1 BvR 809/95). Diese Leistungspflicht besteht auch dann, wenn erst nach Entstehen des Leistungsanspruchs ein ausländischer Wohnsitz begründet wird (BSG, Urteil v. 7.10.2009, B 11 AL 25/08 R). Dies gilt aber nicht, wenn ein Leistungsanspruch aus dem koordinierenden europäischen Sozialrecht in einem anderen EU-Mitgliedstaat besteht (BSG, Urteil v. 12.12.2017, B 11 AL 21/16).
Rz. 5
Der Grundsatz der Geltung des SGB für alle Personen im Inland schließt jedoch nicht aus, dass nach § 37 vorgehende Vorschriften der besonderen Bücher des SGB für Leistungsansprüche zusätzliche materielle Rechtsvorschriften weitergehende Voraussetzungen verlangen (z. B. deutsche Staatsangehörigkeit) oder die Anwendung der Vorschriften auch auf im Ausland befindliche Personen erstreckt wird.
2.2 Vorbehalt abweichender Regelungen (Abs. 2)
Rz. 6
Der Grundsatz der Geltung der Vorschriften des SGB nach dem Territorialitätsprinzip lässt zu, dass über- oder zwischenstaatliches Recht davon Abweichungen beinhaltet, die unberührt bleiben, d. h. die Begrenzung der Regelung des § 30 nicht gilt. Für eine solche Ausweitung des Territorialitätsprinzips im Sinne der Erstreckung der Vorschriften des SGB auch auf ausländisches Staatsgebiet sind über- und zwischenstaatliche Regelungen aber nicht ersichtlich.
Rz. 7
Allenfalls wird personenbezogen und sachbezogen durch über- oder zwischenstaatliches Recht die wechselseitige Anerkennung von Sachverhalten im Ausland für Rechtsfolgen nach innerstaatlichen Vorschriften vereinbart, so dass sich daraus dann Kollisionsnormen, also den sachlichen Anwendungsbereich einer Rechtsvorschrift betreffende Regelungen ergeben.
Rz. 8
Nach über- oder zwischenstaatlichem Recht kann aber insbesondere auch ein Wohnsitz oder der ständige Aufenthalt im Inland entbehrlich sein, der ausländische Wohnsitz einem inländischen gleichgestellt (z. B...