2.1 Gesetzesvorbehalt
Rz. 2
Der Vorbehalt des Gesetzes besagt als allgemeiner Grundsatz des Rechtsstaates, dass ein Träger öffentlicher Gewalt nur durch formelles Gesetz (oder aufgrund eines formellen Gesetzes) in Rechtspositionen des Bürgers eingreifen darf. Das Handeln der Exekutive wird somit beschränkt, wie sich bereits aus der Gesetzesbegründung ergibt. Dieser Grundsatz dient in erster Linie der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen dem Gesetzgeber und der Verwaltung als der gesetzesvollziehenden Behörde. Zu unterscheiden ist dieser Grundsatz von dem des Vorrangs des Gesetzes, der besagt, dass ein Verwaltungshandeln nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen darf.
Rz. 3
Für den Bereich der eingreifenden – Pflichten und Lasten auferlegenden – Verwaltungstätigkeit ergibt sich dieser Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG, sodass § 31 insoweit nur klarstellende Bedeutung hat (BT-Drs. 7/868 S. 27).
Rz. 4
Für den Bereich der leistenden – Vorteile und Begünstigungen einräumenden – Verwaltungstätigkeit war die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes i. S. d. Zuständigkeit des Gesetzgebers für die Festlegung bestimmter Gegenstände umstritten. Indem § 31 diesen Gesetzesvorbehalt nunmehr ausdrücklich auch auf "die im SGB geregelten Begünstigungen" (BT-Drs. 7/868 S. 27) erstreckt, stellte dies eine spezialgesetzliche ausdrückliche Regelung dar (sozialrechtliche Sonderregelung, BSG, Urteil v. 8.12.2021, B 2 U 12/20 R).
Rz. 5
Der totale Gesetzesvorbehalt ist im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Satz 2 zu sehen, der Einzelansprüche aus den allgemein formulierten sozialen Rechten (§§ 3 bis 10) von den gesetzlichen Voraussetzungen der besonderen Teile abhängig macht und daher ein einschränkendes Korrektiv i. S. eines Verbots übergesetzlicher Leistungsgewährung an die Verwaltung darstellt. Auch wenn diese besonderen Teile die einzelnen Ansprüche regeln und von besonderen Voraussetzungen abhängig machen und dem Einzelnen nur in diesem Rahmen durchsetzbare Rechte zustehen, schließt dies nicht notwendig die Begrenzung auf diese Ansprüche ein. Diese Begrenzung wird erst durch § 31 herbeigeführt.
Rz. 6
Letztlich wird mit dem Vorbehalt des Gesetzes jedoch auch eine Grenze für die Auslegung der Vorschriften des SGB (vgl. § 2 Abs. 2 und Komm. dort) für Verwaltung und Gerichte gezogen. Das schließt aber nicht aus, dass die Rechtsprechung zur Lückenfüllung und Rechtsfortbildung auf nicht dem SGB zugehörige Gesetze oder Rechtsgrundsätze zurückgreifen kann. Die Auslegungsregelung des § 2 Abs. 2 enthält keinen Widerspruch zu den Prinzipien der Methodenlehre, sondern gebietet eine bürgerfreundliche Gesetzesinterpretation, soweit eine solche unter Zugrundelegung der anerkannten Auslegungsmethoden möglich ist, weil danach ausreichend ist, dass das Gesetz eine Rechtsfolge "zulässt", also bloß implizit einen entsprechenden Inhalt hat (BVerwG, Urteil v. 10.12.2021, 5 C 8/20). Trotz des Gesetzesvorbehalts besteht nach allgemeiner Ansicht auch kein Analogieverbot für das Sozialrecht, nicht einmal bei zulasten des Betroffenen wirkenden Analogien (LSG Hessen, Urteil v. 19.1.2022, L 4 SO 143/19). Dem Vorbehalt des Gesetzes entspricht es, den (zum Ausgleich nachteiliger Folgen bei fehlerhafter Beratung) von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf rechtlich zulässige Leistungen (BSG, Urteil v. 25.1.1994, 7 RAr 50/93) oder nur die Herstellung eines auch rechtlich möglichen oder zulässigen Status zu beschränken (BSG, Urteil v. 28.9.2010, B 1 KR 31/09 R).
Rz. 7
Der Gesetzesvorbehalt wird zum Teil in den besonderen Büchern bereichsspezifisch wiederholt. So begrenzt § 30 Abs. 1 SGB IV (vgl. Komm. dort) für die Sozialversicherungsträger die Mittelverwendung auf die ihnen übertragenen Aufgaben. § 194 Abs. 2 SGB V (vgl. Komm. dort) begrenzt die Satzungskompetenz der Krankenkassen für Satzungsleistungen auf ausdrücklich als solche zugelassene und den Aufgaben der Krankenversicherung nicht widersprechende Leistungen. Daher dürfen Krankenkassen gesetzlich vorgesehene oder vorgeschriebene Leistungen in der Satzung allenfalls in der Form einer wörtlichen Wiedergabe des Gesetzestextes zitieren, um auch nur den Anschein weitergehender Leistungen zu vermeiden (BSG, Urteil v. 24.4.2002, B 7/1 A 4/00 R). Soweit eine Satzungsermächtigung besteht, kann davon nur im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch gemacht werden (vgl. BSG, Urteil v. 18.11.2014, B 1 A 1/14 R).
Rz. 7a
Als gesetzlicher Vorbehalt, auch wenn dies nicht unter dem Aspekt des § 31 diskutiert wird, hat sich die Rechtsprechung des BSG zur Bedeutung des Leistungserbringungsrecht auf die Ansprüche der Krankenversicherten und deren Ansprüche erwiesen. Nach dieser Rechtsprechung (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 16.9.1997, 1 RK 14/96; BSG, Urteil v. 16.9.1997, 1 RK 28/95) wirken Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern sowie Richtlinien des (jetzt:) Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 91 SGB V) über Verfahren, Voraussetzungen und Umfang der ärztlichen Versorgung auf d...