Rz. 11
Der Vorbehalt des Gesetzes fordert, dass Rechte und Pflichten durch Gesetz vorgeschrieben oder zugelassen sind. Darunter zu verstehen sind nicht nur Gesetze im formellen Sinne, sondern – jedenfalls durch die Formulierung "oder zulässt" klargestellt – auch Gesetze im materiellen Sinn, z. B. Rechtsverordnungen oder Satzungen. Letztgenannte untergesetzliche Regelungen müssen jedoch wiederum durch Gesetz zugelassen sein, bedürfen also einer Inhalt und Umfang bestimmenden Ermächtigungsgrundlage in einem formellen Gesetz.
Rz. 12
Untergesetzliche abgeleitete Rechtsnormen müssen sich im Rahmen der Ermächtigung bewegen. Eine Prüfung dessen wird insbesondere bei Pflichten auferlegenden Regelungen in Betracht zu ziehen sein. So stellen die auf § 240 Abs. 1 SGB V gestützten "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen untergesetzliche Normen dar, die für sich genommen ab 1.1.2009 als eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gelten (BSG, Urteil v. 19.12.2012, B 12 KR 20/11 R). Bei einer einen rechtlichen Rahmen ausfüllenden Regelung ist zu prüfen, ob die Regelung diesen Rahmen nicht zu eng eingrenzt oder unzulässig ausweitet. Genehmigungen der Rechtsaufsicht heilen solche Verstöße gegen höherrangiges Recht nicht, sodass dadurch eine Überprüfung in dieser Hinsicht nicht abgeschnitten ist (vgl. Komm. zu § 195 SGB V).
Rz. 13
Nach der Gesetzesbegründung soll dem Gesetzesvorbehalt mit dem Vorliegen eines Haushaltsgesetzes Genüge getan sein (BT-Drs. 7/868 S. 27). Ob dies mit dem totalen Gesetzesvorbehalt vereinbar ist, ist umstritten (vgl. Rüfner, in: Wannagat, SGB I, § 31 Rz. 7; Spellbrink, in: KassKomm. SGB I, § 31 Rz. 19, Stand: September 2018; Mrozynski, SGB I 7. Aufl., § 31 Rz. 8 m. w. N.). Die Gesetzesbegründung wird man aber wohl dahingehend zu verstehen haben, dass damit solche Titel in Haushaltsgesetzen gemeint sind, die Ausgaben nach Grund, Voraussetzungen und Höhe für bestimmte Zwecke vorsehen und die Sozialverwaltung zu diesen Ausgaben berechtigen, selbst wenn durch die Haushaltstitel selbst unmittelbar noch keine Ansprüche für Berechtigte begründet werden. Der Gesetzgeber lässt also mit der Bereitstellung der Mittel deren Vergabe durch die Exekutive zu und trifft demnach die ihm vorbehaltene grundsätzliche Entscheidung selbst (Weselski/Öndül, in: juris-PK, SGB I, § 31 Rz. 34, Stand 16.1.2024). Insoweit ist und kann dann die konkrete Leistungsgewährung Richtlinien überlassen sein (vgl. BSG, Urteil v. 16.2.1983, 7 RAr 105/81).
Rz. 14
Verwaltungsrichtlinien, -anordnungen, Erlasse, Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sind keine im Rahmen von § 31 relevanten Rechtsnormen, sondern lediglich Rechtsauffassungen. Sie begründen, selbst wenn sie rechtlich vorteilhafte Rechtsauffassung wiedergeben, keine den Rahmen des § 31 überschreitende Ansprüche. Selbst wenn danach verfahren wurde, lässt sich auch aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) daraus kein Leistungsanspruch ableiten, weil kein Anspruch auf Gleichbehandlung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen entsteht.
Rz. 15
In der gesetzlichen Krankenversicherung sind eine Vielzahl möglicher oder notwendiger, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA; § 91 SGB V) zu beschließende Richtlinien vorgesehen (§ 92 SGB V), die unter den Voraussetzungen des § 94 SGB V auch stattdessen vom BMG erlassen werden können (vgl. Komm. zu § 91 und § 94 SGB V). Das BSG sieht diese Richtlinien nunmehr als untergesetzliche auf Gesetz beruhende Rechtsquellen (Normsetzungsverträge) und Ermächtigung zur Konkretisierung der gesetzlichen Leistungsansprüche (§§ 12, 27 SGB V) der Einzelnen an (BSG, Urteil v. 18.3.1998, B 6 KA 37/96 R; BSG, Urteil v. 16.9.1997, 1 RK 28/95; BSG, Urteil v. 17.12.2019, B 1 KR 18/19 R; offen gelassen: BVerfG, Beschluss v. 10.11.2015, 1 BvR 2056/12). Damit entfalten solche Richtlinien für die Krankenkassen zugleich einen gesetzlichen Vorbehalt für die Leistungsgewährung.