Rz. 2
Die Vorschrift ist Ausdruck des Rechtsgrundsatzes, dass das speziellere Gesetz dem allgemeinen vorgeht (BSG, Urteil v. 24.8.1994, 6 RKa 20/93, NZS 1995, 187). Sie ist (in BT-Drs. 7/868 S. 29) damit begründet worden, dass sie klarstelle, dass die Regelungen des Dritten Abschnitts (die damaligen §§ 30 bis 67) zwar grundsätzlich in allen Sozialleistungsbereichen verbindlich seien, jedoch in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs teilweise ausdrücklich oder nach dem Sinnzusammenhang modifiziert seien. Hinsichtlich der Modifizierung nach dem Sinnzusammenhang sei auch die künftige Rechtsprechung zu beachten; sie treffe z. B. auch auf die Frage der Aufrechnung (§ 51) bei Leistungen der Sozialhilfe zu.
Rz. 3
Die Bedeutung der Verweisung auf den Vorrang des spezielleren Gesetzes liegt darin, dass bestimmt wird, von welchen Vorschriften Abweichungen möglich sind (ursprünglich der Dritte Abschnitt mit den §§ 30 bis 67). Andererseits wird mit dem Vorbehalt für abweichende Regelungen jedoch die Übersichtlichkeit und Allgemeinverbindlichkeit der gerade als allgemeine Regelungen gedachten und kodifizierten Vorschriften wiederum in Frage gestellt (vgl. zu Kritik an der Vorschrift Bley, SGb 1974, 224; Mrozynski, SGb 2016, 1, 69).
Rz. 4
Durch die folgenden Rechtsänderungen ist dieser positiv formulierte Vorbehalt für abweichende Regelungen zunächst auf die §§ 38 bis 67 (des SGB I) begrenzt worden, womit klargestellt werden sollte, dass von den Vorschriften über den Datenschutz (§ 35) nicht abgewichen werden soll (BT-Drs. 8/4022 S. 96). Durch das Sozialgesetzbuch X – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten – v. 4.11.1982 ist der Vorbehalt mit Wirkung zum 1.7.1983 auf das SGB I und X ausgedehnt worden, womit eine einheitliche und umfassende Regelung des Ersten und Zehnten Buches zu den anderen Teilen des SGB hergestellt werden sollte (BT-Drs. 9/1753 S. 47). Durch den Satz 2 ist der Vorbehalt für besondere Regelungen dann negativ dahingehend formuliert worden, dass der Vorbehalt nicht für die §§ 1 bis 17 und 31 bis 36 und das Zweite Kapitel des SGB X (§§ 67 ff. SGB X – Schutz der Sozialdaten) gilt, also davon nicht abgewichen werden kann. Mit Wirkung zum 18.6.1994 ist das Zweite Kapitel des SGB X vom Ausschluss des Vorbehalts für abweichende Regelungen wieder ausgenommen und mit Satz 3 dem Zweiten Kapitel des SGB X nur der Vorrang vor dem Ersten Kapitel (Verwaltungsverfahren) eingeräumt worden, soweit sich die Sachverhaltsermittlung auf Sozialdaten bezieht. Insgesamt ergeben diese Gesetzesänderungen, dass weitgehend ein Vorrang der Regelungen in den besonderen Büchern des SGB besteht. Andererseits wird dadurch die Vereinheitlichung und Übersichtlichkeit des SGB, die insbesondere auch mit dem SGB I erreicht werden sollte, stark relativiert.