Rz. 7
Das AsylbLG regelt als eigenständiges Gesetz die materiellen Leistungen des in § 1 Abs. 1 genannten Personenkreises, der von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII grundsätzlich ausgenommen ist. Es ist nicht Bestandteil des Sozialgesetzbuches, weil es in Art. II § 1 SGB I a. F. nicht aufgeführt war und auch in § 68 SGB I (Besondere Teile des Sozialgesetzbuches) nicht erwähnt wird. Es war auch nicht Bestandteil des am 31.12.2004 außer Kraft getretenen BSHG. Daraus folgt, dass grundsätzlich für das Verwaltungsverfahrensrecht nicht das SGB X gilt, sondern die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 8.12.2011, L 7 AY 3535/09), die weitgehend mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) identisch sind. Die Frage, ob ein Bescheid hinreichend bestimmt ist, bemisst sich daher nach § 37 VwVfG NW bzw. BW etc. (LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Daneben haben die Bundesländer Ausführungsgesetze zum AsylbLG erlassen, in denen z. B. Zuständigkeitsfragen geregelt werden (vgl. etwa § 1 AG AsylbLG NW v. 29.11.1994, GV. Nordrhein-Westfalen 1994, 1087).
Rz. 8
Es bedurfte besonderer gesetzlicher Regelungen in § 7 Abs. 4 und § 9 Abs. 3, um Teile des SGB X dennoch zur Anwendung bringen zu können. Hierbei handelt es sich allerdings um zentrale Vorschriften des SGB X wie insbesondere die Regelungen über die Aufhebung und Abänderung von Verwaltungsakten in den §§ 44f. SGB X (vgl. die Komm. zu § 9 Abs. 3) einschließlich der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und die Vorschriften über Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander, die jeweils nach § 9 Abs. 3 "entsprechend" auf das AsylbLG anzuwenden sind. Das Nebeneinander der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder und des SGB X führt zu einer Rechtszersplitterung und erschwert unnötig die Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Auf der Basis der bestehenden Gesetzeslage (de lege lata) dürfte es allerdings kaum vertretbar sein, durchgehend nur die Regelungen des SGB X auf das Verfahrensrecht bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsrecht anzuwenden; denn wenn der Gesetzgeber nicht grundsätzlich von der Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze ausgegangen wäre, hätte er in § 9 Abs. 3 nicht die "entsprechende" Anwendung einzelner Regelungen des SGB X regeln müssen.
Rz. 9
Die überwiegend im Schrifttum erhobenen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das AsylbLG hat das BVerwG in einer Grundsatzentscheidung v. 29.9.1998 (FEVS 49, 97) nicht geteilt. Diese wurden jedoch immer wieder laut, weil die in § 3 geregelten Grundleistungen hinsichtlich ihrer Höhe seit Inkrafttreten des Gesetzes 1993 nicht den steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden sind (vgl. Birk, in: LPK-SGB XII, § 3 AsylbLG Rz. 8; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 22.11.2006, L 8 B 27/06 AY ER; die Leistungen aber noch als verfassungsgemäß ansehend: LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 8.1.2007, L 12 AS 5604/06 ER-B).
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung v. 11.7.2006 (1 BvR 293/05) ausgeführt, es stehe im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, ein eigenes Konzept zur Sicherung des Lebensbedarfs von Asylbewerbern zu schaffen. Dabei sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Art und Umfang der Leistungen von der voraussichtlichen Dauer des Aufenthalts in Deutschland abhängig zu machen.
Bewegung kam in die Diskussion um die Verfassungswidrigkeit von Teilen des AsylbLG durch Vorlagebeschlüsse des LSG Nordrhein-Westfalen v. 26.7.2010 (L 20 AY 13/09) und 22.11.2010 (L 20 AY 1/09), in denen das LSG von der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen über die Regelleistungen ausging und sich hierbei u. a. auf die Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Herleitung der Regelleistungen nach dem SGB II berufen hat (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BVL 1/09 u. a.). Am 18.7.2012 hat das BVerfG (1 BvL 10/10) hierzu grundlegend entschieden, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG in der bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung evident unzureichend war. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von d...