Rz. 12
Ausländer, die sich im Bundesgebiet aufhalten und eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4) oder die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 5), erhalten nur Leistungen nach Abs. 1, wenn die nachfolgend zu prüfenden Voraussetzungen vorliegen (zum Personenkreis Rz. 10). Gemäß Abs. 3 Satz 2 sind auch die nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 leistungsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährigen Kinder der in Satz 1 genannten Ausländergruppen erfasst.
Rz. 13
Weitere Voraussetzung ist, dass bei diesen Personengruppen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind die Ausweisung (§ 53 AufenthG), die Zurückschiebung (§ 57 AufenthG) und die Abschiebung (§ 58 AufenthG). Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen müssten aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können. Als Beispiele nennt die Gesetzesbegründung die Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung, das Vernichten von Ausweisdokumenten oder das Vereiteln der Abschiebung durch Widerstandshandlungen oder auf andere Weise. Als weitere zu vertretende Gründe werden das Untertauchen, das Vernichten oder der zu vertretende Verlust von Ausweispapieren, die Täuschung über die Identität oder die Staatsangehörigkeit oder deren Verschleierung, sowie die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Dokumenten genannt. Der Betreffende muss einen dieser Gründe zu vertreten haben. Dies kann insbesondere bei der fehlenden Mitwirkung problematisch sein. Die jeweilige Mitwirkungshandlung muss zumutbar sein. Für den Libanon und Syrien ist es als zumutbar erachtet worden, Geburtsurkunden, Personenstandsauszüge oder andere Registerauszüge aus den im Heimatland geführten Registern unter Einschaltung von im Ausland lebenden Verwandten oder über Vertrauensanwälte zu beschaffen (Oppermann, a. a. O., Rz. 99 mit Hinweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.5.2000, 6 B 2033/99). Ob die Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung oder Ehrenerklärung des ausreisepflichtigen Ausländers gegenüber dem Heimatstaat, dass er bereit sei, freiwillig auszureisen, zumutbar ist, hat die Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Die Freiwilligkeit kann in dem Sinne erklärt werden, dass der betroffene Ausländer ausreisepflichtig sei und er dieser Pflicht nachzukommen gedenke, um der zwangsweisen Abschiebung zuvorzukommen (BVerwG, Urteil v. 10.11.2009, 1 C 19/08; SächsOVG, Urteil v. 3.7.2014, 3 A 28/13). Das BSG (Urteil v. 30.10.2013, B 8 AY 7/12 R) hat es hingegen für unzumutbar gehalten, eine solche Erklärung abzugeben, die der Betreffende selbst für falsch hält. Inwiefern durch eine solche Erklärung die Intimsphäre als unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts berührt werde, bleibt jedoch unklar.
Rz. 14
Die Behörde muss vor Erlass eines Bescheides über die Leistungseinschränkung nach Abs. 3 klären, ob und inwieweit der Ausländer die fehlende Klärung seiner Identität und Staatszugehörigkeit bzw. das Fehlen von Reisedokumenten zu vertreten hat oder ob die Passbeschaffung aus einem Grund misslingt, den er nicht zu vertreten hat (Herbst, in: Mergler/Zink, AsylblG, § 1a Rz. 26 mit Hinweis auf OVG Hamburg, Beschluss v. 7.5.2002, 4 Bs 104/01: Die Botschaft von Sierra Leone erklärte, wegen der derzeitigen politischen Lage könne kein Pass ausgestellt werden). Verzichtet der Staat infolge einer politischen Grundentscheidung in Fällen eines offenen Kirchenasyls auf die Durchsetzung der Abschiebung, liegt keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts vor (BSG, Urteil v. 24.6.2021, B 7 AY 4/20 R). In solchen Fällen dürfte die Entscheidung des ausreisepflichtigen Ausländers, sich ins Kirchenasyl zu begeben, als prägend anzusehen sein, auch wenn die staatliche Entscheidung, auf den Vollzug der Ausreisepflicht zu verzichten, die Letztursache darstellt.