2.1 Voraussetzungen für die Leistungen in besonderen Fällen
2.1.1 Vorangehender Aufenthalt im Bundesgebiet
Rz. 3
Abs. 1 benennt als erste personenbezogene Voraussetzung, dass der Leistungsempfänger sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufgehalten hat. Maßgeblich ist der tatsächliche Aufenthalt im Bundesgebiet, gleichgültig, ob rechtmäßig oder unrechtmäßig. Im letzteren Falle ist jedoch die weitere Voraussetzung (keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer) genau zu prüfen. Der Leistungsberechtigte muss sich ohne wesentliche Unterbrechung 18 Monate im Bundesgebiet aufgehalten haben. Ob die Unterbrechung wesentlich ist oder nicht, ist aufgrund der zeitlichen Dauer der Unterbrechung und der dafür maßgeblichen Gründe zu entscheiden. Überschreitet die Unterbrechung einen Monat, so ist sie grundsätzlich nicht als unwesentlich anzusehen. Die Begründung zum Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes (vgl. Rz. 1b) nennt als Beispiele für eine unwesentliche Unterbrechung kurzfristige Auslandsaufenthalte, wie z. B. Klassenfahrten, Besuche von Angehörigen oder die Teilnahme an Beerdigungen von Angehörigen (BT-Drs. 18/02592 S. 19). Eine Inhaftierung, ein Kirchenasyl oder der vorübergehende Bezug anderer Sozialleistungen stellt keine Unterbrechung dar, soweit der Betreffende dabei das Bundesgebiet nicht verlässt. Allerdings ist die weitere Voraussetzung zu prüfen.
Rz. 4
Gemäß § 15 ist § 2 Abs. 1 für Leistungsberechtigte des AsylbLG, auf die bis zum 21.8.2019 gemäß § 2 Abs. 1 das SGB XII entsprechend anzuwenden war, i. d. F. der Bekanntmachung v. 5.8.1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes v. 17.7.2017 (BGBl. I S. 2541; BGBl. I 2019 S. 162) geändert worden ist, weiter anzuwenden. Das hat zur Folge, dass diejenigen Leistungsempfänger, die die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen nach Abs. 1 bereits am 21.8.2019 erfüllt hatten, einen vorangehenden Aufenthalt im Bundesgebiet von 15 Monaten erfüllen müssen, während diejenigen, die nach dem 21.8.2019 diese Voraussetzungen erfüllt haben, eine Voraufenthaltsdauer von 18 Monaten erfüllen müssen.
2.1.2 Beeinflussung durch rechtsmissbräuchliches Verhalten
Rz. 5
Der Leistungsempfänger darf die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dieses negative Tatbestandsmerkmal setzt zunächst voraus, dass der Leistungsberechtigte selbst die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat. Das Verhalten Dritter darf nicht zugerechnet werden, auch nicht das Verhalten von Eltern oder gesetzlichen Vertretern oder behördliches Handeln (Oppermann/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 2 Rz. 69).
Rz. 6
Der Leistungsempfänger darf die Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Rechtsmissbrauch wird im AsylbLG nicht definiert und muss durch Auslegung ermittelt werden. Die Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz (vgl. Rz. 1a) benennt beispielhaft für objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 17.6.2008, B 8/9b AY 1/07 R; Urteil v. 24.6.2021, B 7 AY 4/20 R) beinhaltet die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer eine objektive und eine subjektive Komponente. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der erlangten Rechtsposition reicht dazu nicht aus. Insbesondere liegt in der Inanspruchnahme der ausländerrechtlichen Duldung und in der darauf beruhenden Nichtausreise kein objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten. Auch die Inanspruchnahme offenen Kirchenasyls begründet keine objektiv rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts, da der Staat infolge einer politischen Grundentscheidung auf die Durchführung der Abschiebung verzichtet (BSG, Urteil v. 24.6.2021, B 7 AY 4/20 R). Passlosigkeit, also das Fehlen der Ausreisedokumente, kann schon deshalb kein objektiv rechtmissbräuchliches Verhalten indizieren, weil fehlende oder unzureichende Reisedokumente kein Abschiebungshindernis darstellen (BVerwG, Urteil v. 3.6.2003, 5 C 32/02). Ist hingegen erwiesen, dass der Leistungsempfänger den Pass vernichtet hat, liegt objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Die Täuschung über die Identität durch den Leistungsempfänger stellt ohne Weiteres einen klassischen Fall rechtsmissbräuchlichen Verhaltens dar, weil diese Täuschung aufenthaltsbeendende Maßnahmen behindert (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 9.7.2020, L 8 AY 52/20 B ER). Gleiches gilt für falsche Angaben zur Staatangehörigkeit oder zur Volkszugehörigkeit, wenn sie diesen Effekt haben (Oppermann/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 2 Rz. 79 f.).
Rz. 7
Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung. Allerdings zeigen bereits Gesetzeswortlaut ("Beeinflussung", nicht Verlängerung) und Gesetzesbegründung, die u. a. in ihrer beispielhaften Au...