Rz. 5

Der Leistungsempfänger darf die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dieses negative Tatbestandsmerkmal setzt zunächst voraus, dass der Leistungsberechtigte selbst die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat. Das Verhalten Dritter darf nicht zugerechnet werden, auch nicht das Verhalten von Eltern oder gesetzlichen Vertretern oder behördliches Handeln (Oppermann/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 2 Rz. 69).

 

Rz. 6

Der Leistungsempfänger darf die Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Rechtsmissbrauch wird im AsylbLG nicht definiert und muss durch Auslegung ermittelt werden. Die Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz (vgl. Rz. 1a) benennt beispielhaft für objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 17.6.2008, B 8/9b AY 1/07 R; Urteil v. 24.6.2021, B 7 AY 4/20 R) beinhaltet die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer eine objektive und eine subjektive Komponente. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der erlangten Rechtsposition reicht dazu nicht aus. Insbesondere liegt in der Inanspruchnahme der ausländerrechtlichen Duldung und in der darauf beruhenden Nichtausreise kein objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten. Auch die Inanspruchnahme offenen Kirchenasyls begründet keine objektiv rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts, da der Staat infolge einer politischen Grundentscheidung auf die Durchführung der Abschiebung verzichtet (BSG, Urteil v. 24.6.2021, B 7 AY 4/20 R). Passlosigkeit, also das Fehlen der Ausreisedokumente, kann schon deshalb kein objektiv rechtmissbräuchliches Verhalten indizieren, weil fehlende oder unzureichende Reisedokumente kein Abschiebungshindernis darstellen (BVerwG, Urteil v. 3.6.2003, 5 C 32/02). Ist hingegen erwiesen, dass der Leistungsempfänger den Pass vernichtet hat, liegt objektiv rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Die Täuschung über die Identität durch den Leistungsempfänger stellt ohne Weiteres einen klassischen Fall rechtsmissbräuchlichen Verhaltens dar, weil diese Täuschung aufenthaltsbeendende Maßnahmen behindert (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 9.7.2020, L 8 AY 52/20 B ER). Gleiches gilt für falsche Angaben zur Staatangehörigkeit oder zur Volkszugehörigkeit, wenn sie diesen Effekt haben (Oppermann/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 2 Rz. 79 f.).

 

Rz. 7

Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung. Allerdings zeigen bereits Gesetzeswortlaut ("Beeinflussung", nicht Verlängerung) und Gesetzesbegründung, die u. a. in ihrer beispielhaften Aufzählung die Vernichtung eines Passes nennt, dass eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes ausreicht, also kein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn erforderlich ist (BSG, Urteil v. 17.6.2008, B8/9b AY 1/07 R).

 

Rz. 8

Der Leistungsempfänger muss vorsätzlich den Aufenthalt rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben; fahrlässiges Verhalten reicht nicht aus. Der Vorsatz muss sich sowohl auf das rechtmissbräuchliche Verhalten als auch auf die Verlängerung des Aufenthalts beziehen. Beim Vorliegen von objektivem, typischem Fehlverhalten wie der Vernichtung des Passes oder einer Identitätstäuschung wird aus den objektiven, indizierten Umständen regelmäßig auf das Vorliegen der subjektiven Komponente zu schließen sein, insbesondere dann, wenn sich der Ausländer nicht zu dem Vorwurf der objektiven Rechtsmissbräuchlichkeit einlässt oder er den Vorwurf nicht in Abrede stellt (Oppermann/Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 2 Rz. 141). Das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist von Amts wegen zu prüfen. Etwaige Zweifel gehen zulasten der Behörde.

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