2.1 Berechtigter Personenkreis (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 4
Anspruchsberechtigt sind alle Leistungsempfänger nach den §§ 3 bis 5 und § 1a, nicht aber der in § 2 genannte Personenkreis. Letztere erhalten die sog. Analog-Leistungen abweichend von den §§ 3 bis 7, also auch abweichend von § 6.
2.2 Sonstige Leistungen (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 5
Aufgrund der Funktion der Vorschrift über sonstige Leistungen als Auffangnorm ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundleistungen nach § 3 oder von Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 vorliegen. Erst dann, wenn dies im Einzelfall nicht der Fall ist, kommen Leistungen nach § 6 in Betracht. Sonstige Leistungen nach § 6 können als Sachleistungen und in besonderen Fällen auch als Geldleistungen gewährt werden, wobei Abs. 1 Satz 2 den Vorrang von Sachleistungen betont.
2.3 Ermessen bei der Leistungsgewährung
Rz. 6
Nach dem unmissverständlichen Wortlaut von Abs. 1 Satz 1 ("Leistungen können ... gewährt werden") räumt die Vorschrift dem Leistungsträger Ermessen ein. Nach bisheriger Rechtsprechung und Literatur ist die Vorschrift angesichts der Einschränkungen im Gesetzeswortlaut ("unerlässlich" und "geboten") jedoch einzelfallbezogen und restriktiv auszulegen (Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 6 Rz. 33). Teilweise wird ein Entschließungsermessen verneint, jedoch das Auswahlermessen betont (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 6 Rz. 26 f.). In der neueren Kommentarliteratur (Frerichs, a. a. O., Rz. 34; Kraus, in: Siefert AsylbLG, § 6 Rz. 3 ff.; Deibel, in: GK AsylbLG, § 6 Rz. 29 ff.) und Rechtsprechung (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 20.6.2023, L 8 AY 16/23 B ER, und Urteil v. 1.6.2023, L 8 AY19/22) wird eine eigenständige funktionsdifferente Auslegung von Abs. 1 Satz 1 befürwortet. Zu beachten sind danach die besonderen Lebensverhältnisse des Leistungsempfängers und dessen voraussichtlich Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, aber auch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Bei der Beurteilung können als Auslegungskriterien die Grundrechtsrelevanz des betroffenen Rechts, Ausmaß und Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung, die bisherige und voraussichtliche Aufenthaltsdauer und ein zeitnaher Wechsel zu Analogleistungen herangezogen werden (Frerichs, a. a. O., Rz. 39). Allerdings ist stets der Wille des Gesetzgebers zu beachten. Eine Auslegung contra legem ist unzulässig. Bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesundheit dürfte das Entschließungsermessen auf Null reduziert sein und lediglich ein Auswahlermessen bestehen.
2.4 Sicherung des Lebensunterhalts
Rz. 7
Sonstige Leistungen können gemäß Abs. 1 Satz 1 Fallgruppe 1 gewährt werden, wenn sie zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich sind. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit § 3 zu sehen. Anzuknüpfen ist damit an ein gegenüber den Leistungen nach dem SGB XII deutlich abgesenktes Leistungsniveau. Ob nach der Entscheidung des BVerfG v. 18.7.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) eine restriktive Auslegung der Vorschrift nicht mehr beibehalten werden kann (Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 6 Rz. 33 ff.) ist streitig, denn nach der Auffassung des BVerfG soll die Vorschrift keinen Ausgleich struktureller Art bewirken. Bei der restriktiven Handhabung der Vorschrift ist die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, durch die Grundleistungen etwa des § 3 einen geringeren Lebensstandard zu gewährleisten (Frerichs, a. a. O., Rz. 34). Es kann nur an das im Verhältnis zum SGB XII reduzierte, deutlich abgesenkte Lebensniveau angeknüpft werden (Deibel/Hohm/Deibel, AsylbLG aktuell, § 6 Rz. 14). Liegt die begehrte Leistung darüber, ist § 6 nicht einschlägig (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 6 Rz. 7).
Rz. 8
Bei der Unerlässlichkeit ist auf den Einzelfall abzustellen. Die Umstände der Unterbringung müssen ebenso Berücksichtigung finden wie die Dauer des voraussichtlichen Aufenthalts. Daher kann bei Personen, deren Ausreise kurz bevorsteht, ein geringerer Bedarf bestehen als bei solchen Ausländern, deren Aufenthalt in Deutschland nicht in absehbarer Zeit beendet sein wird. Einen pauschalierten Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende hat das BSG zwar verneint, aber es für zulässig erachtet, für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG solche Bedarfe wegen Alleinerziehung im Grundsatz anknüpfend an konkret erkennbar werdende Bedarfslagen und dabei im Regelfall als Sachleistung zu gewähren (BSG, Urteil v. 25.10.2018, B 7 AY 1/18 R). Zusätzliche Kosten, die durch Ausübung des Umgangsrechts entstehen, insbesondere Fahrten eines geschiedenen Elternteils zum Kind und angemessene Fahrtkosten des Kindes zu einem Elternteil sind ebenfalls nicht pauschal, aber im Einzelfall anerkennungsfähig (BVerwG, Urteil v. 22.8.1995, 5 C 15/94; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 3.1.2006, L 8 B 11/05 AY ER; Deibel, in: GK-AsylbLG, § 6 Rz. 79 ff.). Anerkannt wird auch ein ernährungsbedingter Mehrbedarf im Einzelfall (Siefert/Krauß, AsylbLG, § 6 Rz. 28; Deibel, ZAR 1995, 57, 62), ...