Rz. 5
Die verschiedentlich schon früh in der Literatur (Sieveking, Verfassungsrechtliche Fragen zur Absenkung von Sozialleistungen für Flüchtlinge, Siegburg 1995) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zum AsylbLG haben zunächst weder das BVerwG (Beschluss v. 29.9.1998, 5 B 83/97) noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (BayLSG, Beschluss v. 28.6.2005, L 11 B 212/05 AY ER; Thüringer LSG, Beschluss v. 3.8.2006, L 8 AY 493/06 ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 7.3.2006, L 8 B 13/05 AY ER) geteilt. Weder der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG noch die in Art. 1 und 20 GG verbürgten Grundsätze der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips wurden als verletzt angesehen. Da die von den Regelungen des AsylbLG betroffenen Ausländergruppen kein verfestigtes Aufenthaltsrecht innehätten, fehle ein sozialer Integrationsbedarf, so dass der Gesetzgeber eine Differenzierung gegenüber anderen Ausländergruppen und deutschen Staatsangehörigen vornehmen dürfe. Der dem Gesetzgeber zustehende weite Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Art und des Umfangs der Leistungen werde lediglich durch die Pflicht zur Absicherung des Existenzminimums der Leistungsempfänger begrenzt.
Rz. 6
Das BVerfG hat sich inzwischen mehrfach mit Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen gegen Regelungen des AsylbLG befasst. Das Gericht hat zunächst die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG insoweit für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und somit für verfassungswidrig erachtet, soweit danach Leistungsberechtigte eine Entschädigung in Geld für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (§ 253 Abs. 2 BGB – z. B. Schmerzensgeld), für ihren Lebensunterhalt aufbrauchen müssen, bevor sie Leistungen nach dem AsylbLG erhalten. Ansonsten hatten Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen zunächst keinen Erfolg (BVerfG, Beschlüsse v. 15.9.2005, 2 BvL 2/05, v. 25.11.2005, 1 BvR 2042/05, und v. 15.1.2007, 1 BvR 2971/06). Bewegung kam in die verfassungsrechtliche Debatte zudem durch weitere Verfassungsbeschwerden und vor allem ab 2010 durch einen Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Aussetzungs- und Vorlagebeschluss v. 22.11.2010, L 20 B 1/09). Dem LSG Nordrhein-Westfalen folgend kam auch das BVerfG angesichts der seit 1993 unverändert gebliebenen Leistungshöhe und der fortdauernden Untätigkeit des Gesetzgebers am 18.7.2012 in einer grundlegenden Entscheidung (u. a. 1 BvL 10/10) zu der Einschätzung, dass wesentliche Regelungen des AsylbLG evident verfassungswidrig sind. Zudem ordnete das BVerfG in einer bisher beispiellosen Detailliertheit Übergangsregelungen mit Fortschreibungsvorgaben an. Dem lag die Einschätzung zugrunde, dass insbesondere die Leistungshöhe der nach § 3 AsylbLG gewährten Leistungen evident verfassungswidrig sei. Die Herabsetzung der Leistungen bei Rechtsmissbrauch auf das "unabweisbar Gebotene" nach § 1a Nr. 2 in der bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung (a. F.) hat das BSG hingegen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (BSG, Urteil v. 12.5.2017, B 7 AY 1/16 R).