2.1 Zielsetzung des Gesetzes nach Abs. 1
Rz. 5
Abs. 1 benennt die gesetzgeberischen Ziele: Kinderschutz und Förderung der geistigen und seelischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Damit werden sehr unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt.
Rz. 6
Die Vorschrift betont die Zielrichtung des Gesetzes mit Blick auf die rechtliche Stellung von Kindern und Jugendlichen als Grundrechtsträger (Art. 1, 2 GG; vgl. BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17).
Rz. 7
Der Kinder- und Jugendschutz gehört zu den sog. anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, die in § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 2 Abs. 3 SGB VIII programmatisch aufgeführt und benannt werden. Es handelt sich um ordnungsrechtliche Aufgaben der Eingriffsverwaltung, die allerdings hier eine besondere Ausprägung erfahren. Zur Förderung der geistigen und seelischen Entwicklung werden nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4, § 2 Abs. 2 SGB VIII Leistungsangebote im SGB VIII normiert, die rechtlich als Sozialleistungen und mithin als Aufgaben der Leistungsverwaltung zu werten sind.
2.2 Art 6 Abs. 2 GG nach Abs. 2 Satz 1 und 2
Rz. 8
Abs. 2 entspricht Art. 6 Abs. 2 GG und bildet die grundgesetzliche Norm wortgleich ab.
Rz. 9
Abs. 2 formuliert wortgleich mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das elterliche Erziehungsrecht und die damit korrespondierende Erziehungsverantwortung sowie das in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG normierte staatliche Wächteramt. Dieses ist Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des staatlichen Schutzauftrages und die daraus erwachsenden "anderen Aufgaben" (BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17).
Rz. 10
Eine insoweit vergleichbare Regelung findet sich an der an § 1 angelehnten Regelung des § 31 BtOG, hiermit wird die Betreuungsbehörde zur Schnittstelle der Gefahrenabwehr gemacht (Fröschle/Pelkmann, BtPrax 2020 S. 165, 168).
2.3 Konkretisierung der Aufgabenzuweisung nach Abs. 3
Rz. 11
Abs. 3 konkretisiert die in Abs. 2 und in Art. 6 Abs. 2 GG formulierte Aufgabenzuweisung, indem Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr als Ausprägungen des stattlichen Wächteramtes aufgeführt werden.
Rz. 12
Abs. 3 schafft damit einen Anspruch der Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung auf Unterstützung. Unterstützungsleistungen sind dabei niedrigschwellige Hilfeangebote für die Eltern.
Rz. 13
Berechtigter Personenkreis sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers insoweit nur die Eltern; ein Träger der Kinder- und Jugendhilfe kann aus dem Elternrecht i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 3 GG somit keine eigene Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Beeinträchtigung seiner Aufgaben herleiten (VG Dresden, Beschluss v. 15.4.2020, 6 L 257/20 Rz. 26 und 29 mit Anm. in: ZKJ 2020 S. 232).
Rz. 14
Voraussetzung für die Unterstützungsleistung ist – ganz ähnlich wie in §§ 27 ff. SGB VI – eine erzieherische Mangellage. So kommt eine Unterstützungsleistung in belastenden Lebenslagen (z. B. aufgrund der psychischen Erkrankung eines Elternteils, persönlicher Gewalterfahrung der Eltern, Verschuldung oder der chronischen Erkrankung des Kindes) und bei geschwächten familiären Bewältigungsressourcen, bei Vernachlässigung und Misshandlung in Betracht (so die Beispiele des Gesetzgebers zu den sog. "Frühen Hilfen" nach Abs. 4, vgl. BR-Drs. 202/11 S. 24 = BT-Drs. 17/6256 S. 17; auf die Komm. zu § 27 wird ergänzend verwiesen).
Rz. 15
Der staatliche Unterstützungsauftrag beschränkt sich dabei auf erforderlichen Maßnahmen; damit wird die Bindung staatlichen Handels an die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit klargestellt (BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17). Erforderlich ist daher eine Unterstützungsmaßnahme, wenn sie geeignet ist, dem Kindeswohl zu dienen und das mildeste Mittel darstellt. Dabei darf die Unterstützungsmaßnahme nicht zu einer Kindeswohlgefährdung führen oder eine bereits eingetretene Kindeswohlgefährdung perpetuieren.
Rz. 16
Obwohl es im Gesetzestext heißt, dass die Eltern unterstützt werden sollen, stehen die aufgeführten Maßnahmen dabei im Grenzbereich zwischen Leistungs- und Eingriffsverwaltung. Das staatliche Wächteramt umfasst nämlich nicht nur allgemeine Maßnahmen zur Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenz sowie spezifische Hilfen für Familien und Kinder in spezifischen Risikolagen, sondern rechtfertigt auch staatliche Maßnahmen zur Abwendung einer (bereits eingetretenen) Gefährdung des Kindeswohls (diese gegensätzliche Funktion des Wächteramts unterstreicht ausdrücklich auch der Gesetzgeber, vgl. BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17). Gefahrenabwehr gehört zu den sogenannten anderen Aufgaben i. S. d. § 2 Abs. 3 SGB VIII. Die Gefahrenvorsorge bewegt sich im Vorfeld dieser Aufgabenwahrnehmung und hat ebenso wie die in § 2 Abs. 2 SGB VIII normierten Leistungen Angebotscharakter. Die Nähe zu Maßnahmen der Eingriffsverwaltung bringt durchaus Probleme mit sich. Dass die Unterstützungsmaßnahmen auch dazu dienen sollen, Erkenntnisse über eine Gefährdung des Kindeswohls zu gewinnen, fördert nicht gerade ein Vertrauensverhältnis zwischen den Eltern und den Mitarbeitern der Jugendhilfeträger. Jedoch stellen die Maßn...