0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 1 ist derzeit i. d. F. des Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG) v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 2975) seit 1.1.2012 in Kraft.
Die Vorschrift ist mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) v. 22.12.2011 mit Wirkung zum 1.1.2012 in Kraft getreten (vgl. zu den Gesetzesmaterialien vgl. BR-Drs. 202/11 S. 23 ff. = BT-Drs. 17/6256 S. 17 und BR-Drs. 202/11 (Beschluss) sowie BR-Drs. 202/1/11 (Empfehlungen der Ausschüsse); außerdem zu beachten sind BR-Drs. 202/2/11 (Antrag des Freistaates Bayern), der sich auf § 4 Abs. 3 Satz 1 bezog, und BR-Drs. 202/3/11 (Antrag des Landes Baden-Württemberg), der sich auf die BR-Drs. 202/1/11 und die allgemeine Gesetzesbegründung bezog).
Die Vorschrift ist seit dem BKiSchG unverändert.
1 Allgemeines
Rz. 2
Als programmatische Grundsatznorm stellt § 1 die mit dem BKiSchG verfolgten Ziele dar und leitet diese aus Art. 6 Abs. 2 GG her.
Rz. 2a
Dabei dient insbesondere § 1 Abs. 4 – Frühe Hilfe – dem Zweck, das Kind durch ein multiprofessionelles Frühwarn- und Interventionssystem zu schützen, das Erkennen konkreter Risiken für das Kind – nach Möglichkeit bereits vor der Geburt, spätestens aber in den ersten Lebensjahren – in der Familie sicherzustellen und so eine frühe – präventive und interventive – Reaktion zum Schutz des Kindes zu ermöglichen (instruktiv Lorenz, ZKJ 2016 S. 44, 47 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/6256 S. 17).
Rz. 3
Korrespondierende Regelungen finden sich in Art. 6 Abs. 2 GG und in § 1 Abs. 2 SGB VIII, die wortgleiche Regelungen zu Abs. 2 enthalten.
Rz. 4
Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), die regelmäßig in der Fachzeitschrift "Das Jugendamt (JAmt)" veröffentlicht werden, sind im Volltext auf der Webseite des DIJuF unter der Rubrik Publikationen, JAmt – Fachzeitschrift abrufbar https://dijuf.de/veroeffentlichungen/jamt-fachzeitschrift, zuletzt abgerufen am 31.3.2023).
2 Rechtspraxis
2.1 Zielsetzung des Gesetzes nach Abs. 1
Rz. 5
Abs. 1 benennt die gesetzgeberischen Ziele: Kinderschutz und Förderung der geistigen und seelischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Damit werden sehr unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt.
Rz. 6
Die Vorschrift betont die Zielrichtung des Gesetzes mit Blick auf die rechtliche Stellung von Kindern und Jugendlichen als Grundrechtsträger (Art. 1, 2 GG; vgl. BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17).
Rz. 7
Der Kinder- und Jugendschutz gehört zu den sog. anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, die in § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 2 Abs. 3 SGB VIII programmatisch aufgeführt und benannt werden. Es handelt sich um ordnungsrechtliche Aufgaben der Eingriffsverwaltung, die allerdings hier eine besondere Ausprägung erfahren. Zur Förderung der geistigen und seelischen Entwicklung werden nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4, § 2 Abs. 2 SGB VIII Leistungsangebote im SGB VIII normiert, die rechtlich als Sozialleistungen und mithin als Aufgaben der Leistungsverwaltung zu werten sind.
2.2 Art 6 Abs. 2 GG nach Abs. 2 Satz 1 und 2
Rz. 8
Abs. 2 entspricht Art. 6 Abs. 2 GG und bildet die grundgesetzliche Norm wortgleich ab.
Rz. 9
Abs. 2 formuliert wortgleich mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das elterliche Erziehungsrecht und die damit korrespondierende Erziehungsverantwortung sowie das in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG normierte staatliche Wächteramt. Dieses ist Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des staatlichen Schutzauftrages und die daraus erwachsenden "anderen Aufgaben" (BR-Drs. 202/11 S. 23 = BT-Drs. 17/6256 S. 17).
Rz. 10
Eine insoweit vergleichbare Regelung findet sich an der an § 1 angelehnten Regelung des § 31 BtOG, hiermit wird die Betreuungsbehörde zur Schnittstelle der Gefahrenabwehr gemacht (Fröschle/Pelkmann, BtPrax 2020 S. 165, 168).
2.3 Konkretisierung der Aufgabenzuweisung nach Abs. 3
Rz. 11
Abs. 3 konkretisiert die in Abs. 2 und in Art. 6 Abs. 2 GG formulierte Aufgabenzuweisung, indem Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr als Ausprägungen des stattlichen Wächteramtes aufgeführt werden.
Rz. 12
Abs. 3 schafft damit einen Anspruch der Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung auf Unterstützung. Unterstützungsleistungen sind dabei niedrigschwellige Hilfeangebote für die Eltern.
Rz. 13
Berechtigter Personenkreis sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers insoweit nur die Eltern; ein Träger der Kinder- und Jugendhilfe kann aus dem Elternrecht i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 3 GG somit keine eigene Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Beeinträchtigung seiner Aufgaben herleiten (VG Dresden, Beschluss v. 15.4.2020, 6 L 257/20 Rz. 26 und 29 mit Anm. in: ZKJ 2020 S. 232).
Rz. 14
Voraussetzung für die Unterstützungsleistung ist – ganz ähnlich wie in §§ 27 ff. SGB VI – eine erzieherische Mangellage. So kommt eine Unterstützungsleistung in belastenden Lebenslagen (z. B. aufgrund der psychischen Erkrankung eines Elternteils, persönlicher Gewalterfahrung der Eltern, Verschuldung oder der chronischen Erkrankung des Kindes) und bei geschwächten familiären Bewältigungsressourcen, bei Vernachlässigung und Misshandlung ...