Rz. 2
Die einzelnen Absätze der Vorschrift bauen stufenartig aufeinander auf (auf das mehrstufige Verfahren hat auch der Gesetzgeber hingewiesen: BR-Drs. 202/11 S. 29 = BT-Drs. 17/6256 S. 19; auf das stufenweise Vorgehen von Berufsgeheimnisträgern nimmt auch Bezug: Kliemann/Berthold/Fegert, JAmt 2022 S. 361). Sinn des abgestuften Verfahrens nach Abs. 1 und Abs. 2 zu Abs. 3 ist es sicherzustellen, dass zunächst das Abwenden der Kindeswohlgefährdung durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortlichen Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen erreicht werden soll, bevor das Jugendamt eingeschaltet wird (BR-Drs. 202/11 S. 30 = BT-Drs. 17/6256 S. 19). Die systematische Abfolge der Abs. in § 4 bleibt auch durch das KJSG unverändert (worauf zutreffend hinweist: Wiesner, ZKJ 2021 S. 165).
Rz. 3
Struktur der Vorschrift: Zunächst (Abs. 1) sollen die genannten Personengruppen Eltern beraten und motivieren, Hilfen nach dem SGB VIII anzunehmen. Dann (Abs. 2) sollen sie die Möglichkeit haben, zu Fragen der Gefährdung des Kindeswohls in einem konkreten Fall Beratung durch den öffentlichen Träger einzuholen, ohne die Identität der Betroffenen in diesem Stadium offenbaren zu müssen. Erst dann, wenn dies keinen Erfolg verspricht, sollen sie nach Abs. 3 das Jugendamt über die Gefährdung des Kindeswohls informieren. Abs. 4 löst dann eine Informationspflicht gegenüber der in Abs. 1 genannten Person aus. Abs. 5 ordnet die Anwendung der Abs. 2 und 3 auch für Mitarbeiter von Zollbehörden an. Abs. 6 schließlich beinhaltet eine Evaluierungsklausel.
Rz. 4
Sinn der sog. Befugnisnorm in § 4 ist es, die Offenbarungsrechte der Berufsgeheimnisträger klar und eindeutig zu fassen, um so einen wirkungsvollen Kinderschutz sicherzustellen (vgl. hierzu die Ausführungen des Gesetzgebers zum KJSG in BR-Drs. 5/21 S. 122 = BT-Drs. 19/26107 S. 120); mit der bundeseinheitliche Norm wird damit Handlungssicherheit vermitteln (BR-Drs. 202/11 S. 31 = BT-Drs. 17/6256 S. 20). Ein Berufsgeheimnisträger, der zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen eine Mitteilung an das Jugendamt für erforderlich hält, darf nicht aufgrund der Schweigepflichten davon abgehalten werden. Damit schafft § 4 Rechtssicherheit für Berufsgeheimnisträger, insbesondere im Hinblick auf den Straftatbestand des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen). Damit sollte den Berufsgeheimnisträgern die Unsicherheit genommen werden, die die Unbestimmtheit des bis dahin geltenden Rechtfertigungsgrund nach § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) eröffnete (vgl. hierzu auch Schmieder, ZKJ 2022 S. 438). Damit wird der Konflikt zwischen dem Schutzbedürfnis der Patienten und der Schweigepflicht aufgelöst (Kreft, Kriminalistik 2022 S. 600). Weiter geben die Vorgaben des § 4 zur fachlich-methodischen Vorgehensweise Handlungssicherheit; Abs. 2 und das dort normierte Beratungsgespräch verbessert die Einschätzungsfähigkeit der genannten Berufsgruppen (vgl. dazu insgesamt Schmieder, ZKJ 2022 S. 438).
Rz. 5
Ergänzende Reglungen finden sich in dem erst durch das KJSG mit Wirkung zum 10.6.2021 eingefügten § 5, der die Informationspflicht von Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten in laufenden Strafverfahren regelt (auf die Überschneidungen beider Regelungen hatte bereits der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien hingewiesen, vgl. BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 122).
Rz. 6
Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), die regelmäßig in der Fachzeitschrift "Das Jugendamt (JAmt)" veröffentlicht werden, sind im Volltext auf der Webseite des DIJuF unter der Rubrik Publikationen, JAmt – Fachzeitschrift abrufbar (https://dijuf.de/veroeffentlichungen/jamt-fachzeitschrift, zuletzt abgerufen am 31.3.2023).