Rz. 7
Abs. 1 benennt zunächst die Personengruppen, denen nachfolgend Pflichten auferlegt und Aufgaben zugewiesen werden. Dies sind insbesondere die in § 203 StGB aufgeführten sog. Berufsgeheimnisträger, soweit sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit unmittelbaren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben und von ihrer Ausbildung her zur Erörterung einschlägiger Problemlagen mit den Eltern befähigt sind (auf die Begrenzung des Anwendungsbereichs auf eben solche Berufsgeheimnisträger hat der Gesetzgeber ausdrücklich hingewiesen: BT-Drs. 17/6256 S. 19).
Rz. 7a
Die Regelung ist als Soll-Vorschrift angelegt. Die Angelegenheit soll nicht vorschnell an das Jugendamt abgegeben werden. Nur in atypischen Ausnahmefällen kann auf das Gespräch mit den Betroffenen verzichtet werden (vgl. auch bei Schmieder, ZKJ 2022 S. 438; vgl. zu etwaigen Fallkonstellationen Rz. 17).
Rz. 8
Im Sinne der Zielsetzung der gesamten Regelung des § 4 ist Abs. 1 als Offenbarungsrecht für Berufsgeheimnisträger gefasst.
Rz. 9
Sinn von Abs. 1 ist es, die vorrangige elterliche Erziehungsverantwortung und den Primat der elterlichen Gefahrenabwendung Geltung zu verschaffen, bevor das Jugendamt eingeschaltet wird (BR-Drs. 202/11 S. 29 = BT-Drs. 17/6256 S. 19 - hier werden die Abs. 1 und 2 als die erste Stufe bezeichnet). Die Information bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung stellt daher keinen Eingriff in das Elternrecht dar, sondern ist Bestandteil der Aufklärungspflicht der näher spezifizierten Berufsgruppen gegenüber den Eltern und zugleich die Voraussetzung dafür, dass die Eltern selbst in die Lage versetzt werden, im Rahmen ihrer Elternverantwortung wirksame Maßnahmen zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung zu ergreifen.
Rz. 10
Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 4 Abs. 1 und Abs. 3 auf die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen; die Gefährdung des Nasciturus ist daher nicht erfasst (Wever/Krekeler, MedR 2019 S. 369), sodass Handlungsmöglichkeiten für Ärzte bei Alkohol- und oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft nach § 4 nicht eröffnet sind.
Rz. 11
Die in Abs. 1 genannten Berufsgeheimnisträger sollen mit den Erziehungsberechtigten die Situation erörtern und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn ihnen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt werden und dies erforderlich ist. Allein die Verweigerung einer Masernschutzimpfung liefert grundsätzlich noch keine gewichtigen Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls i. S. d. § 4 KKG (DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.3.2021, SN_2021_0297 Ho, JAmt 2021 S. 270).
Rz. 12
Das Recht auf Hinwirkung der Inanspruchnahme von Hilfen ist gegeben unter der einschränkenden Voraussetzung, dass hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht infrage gestellt wird.