Rz. 22

Der mit dem KJSG v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 neu eingefügte Satz 3 begründet eine unverzügliche Informationspflicht (Satz 3 wurde erst auf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) eingefügt, vgl. BT-Drs. 19/28870 S. 77 f. und 112 f.; vgl. auch Kliemann/Berthold/Fegert, JAmt 2022 S. 361); die Vorschrift begründet die Benachrichtigungspflicht der Berufsgeheimnisträger bei einer aus deren Sicht dringenden Gefahr für das Kindeswohl. In diesem Falle hat der betroffene Berufsgeheimnisträger im Regelfall unverzüglich das Jugendamt zu informieren, wenn der Berufsgeheimnisträger das Tätigwerden des Jugendamtes zur Abwendung der Gefährdung für erforderlich hält; auf die Legaldefinition aus § 121 Abs. 1 S. 1 BGB analog kann zurückgegriffen werden. Sinn der Regelung ist es, Angehörigen von Heilberufen die Meldung von dringenden Verdachtsfällen an das Jugendamt erheblich zu erleichtern. Damit wird die Gefahr vermindert, dass eine dringend notwendige Intervention unterbleibt (vgl. auch bei Kliemann/Berthold/Fegert, JAmt 2022 S. 361).

 

Rz. 22a

Eine Definition des Begriffes "dringende Gefahr" liefert das Gesetz nicht, gleichwohl wählt das Gesetz einen subjektiven Ansatz, weil ausdrücklich auf die Einschätzung des betroffenen Personenkreises abgestellt wird. Die Gefahr muss also nicht objektiv gegeben sein.

 

Rz. 23

Satz 3 stellt daher eine Ausnahmeregelung zum mehrstufigen Verfahren dar und ordnet bei dringender Gefahr für das Kindeswohl ein Durchgriffsrecht der Berufsgeheimnisträger an, die in diesen gesonderten Ausnahmefällen nicht mehr verpflichtet sind, die durch Abs. 1 sichergestellte vorrangige elterliche Erziehungsverantwortung und den Primat der elterlichen Gefahrenabwendung zu beachten, sondern im Interesse des Kindes direkt das Jugendamt zu informieren.

 

Rz. 24

Denkbare Einzelfälle einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl sind massive Verletzungen des Kindes, die nach der medizinischen Plausibilität nur auf massive (elterliche) Gewalteinwirkungen zurückgeführt werden kann. Dann ist es im Interesse des Kindeswohls nicht verantwortbar, erst mit den Erziehungsberechtigten die Situation zu erörtern und auf Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken. Gleiches gilt, wenn der Berufsgeheimnisträger Hinweise auf sexuellen Missbrauch hat; auch dies stellt eine dringende Gefahr für das Kindeswohl dar (vgl. zu diesem Beispiel auch Fegert, JAmt 2020 S. 350).

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