2.1 Strafverfahren nach Abs. 1
2.1.1 Gefährdung während eines Strafverfahrens nach Satz 1
Rz. 7
Abs. 1 Satz 1 regelt die Mitteilungspflichten bei Bekanntwerden einer Kindeswohlgefährdung in einem Strafverfahren.
2.1.1.1 Sachlicher Anwendungsbereich; Strafverfahren
Rz. 8
Der sachliche Anwendungsbereich der Mitteilungspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 bezieht sich allein auf eröffnete und laufende Strafverfahren i. S. d. § 203 StPO, also bei solchen Verfahren, bei denen aufgrund eines abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO bereits der Eröffnungsbeschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegt (§ 203 StPO). Beschließt das zuständige Gericht in Strafsachen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen – § 204 StPO (Nichteröffnungsbeschluss) – scheidet schon der sachliche Anwendungsbereich von § 5 aus.
2.1.1.2 Gewichtige Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung
Rz. 9
Einzige Voraussetzung für die Auslösung einer Mitteilungspflicht ist das Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindes- oder Jugendlichenwohlgefährdung während eines laufenden Strafverfahrens.
Rz. 10
Die Einschätzung einer Gefährdung eröffnet dabei Entscheidungsspielräume der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden (hierauf hatte der Gesetzgeber ausdrücklich hingewiesen, vgl. BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 61). Die Bejahung der Voraussetzung obliegt daher letztverantwortlich bei den Gerichten und den Strafverfolgungsbehörden und ist eine Einzelfallentscheidung.
Rz. 11
Das Merkmal gewichtige Anhaltspunkte für die Kindeswohlgefährdung dient der Sicherstellung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und damit dem Interesse der Betroffenen am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und macht das Vorliegen von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung zur Einzelfallprüfung (so ausdrücklich der Gesetzgeber in BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 123).
Rz. 12
Die erforderlichen gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung müssen sich sachlogisch auf einen Minderjährigen beziehen (BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 123).
2.1.1.3 Mitteilungverpflichteter
Rz. 13
Mitteilungsverpflichtet sind sowohl die Strafverfolgungsbehörde – also die Staatsanwaltschaften – als auch das erkennende Gericht in Strafsachen. Mit der Abgrenzung zwischen Strafverfolgungsbehörde und Gericht ist klargestellt, dass es sich bei Gerichten nicht um Strafverfolgungsbehörden handelt (vgl. auch BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 61).
Rz. 14
§ 5 erweiterte damit den Adressatenkreis der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) - vgl. Nr. 35 MiStra – hinaus auch auf Strafverfolgungsbehörden und Gerichte (BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 122).
Rz. 15
Die Mitteilungspflichten von Gericht und Strafverfolgungsbehörde bestehen dabei nebeneinander und schließen sich nicht aus. Jeder strafrechtsprozessteilnehmende Richter oder Staatsanwalt ist allein zur Beurteilung der Voraussetzungen und ggf. anschließend zur Mitteilung berufen und kann sich nicht auf die Mitteilungspflicht des jeweils anderen berufen, um die Mitteilung zu unterlassen.
2.1.1.4 Adressaten der Mitteilung
2.1.1.4.1 Örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Rz. 16
Adressat der Pflicht zur Mitteilung ist zunächst der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe (zur Rolle des Trägers vgl. auch: DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.7.2022, SN_2022_0848 Gö, JAmt 2022 S. 593).
Rz. 17
Sinn der Adressierung an den Jugendhilfeträger ist es, den Entscheidungsprimat des Jugendamtes in allen jugendhilferechtlichen Angelegenheiten sicherzustellen. Das Jugendamt verfügt über die nötige Expertise und kann entscheiden, ob Maßnahmen im Kinderschutz erforderlich sind und, bejahendenfalls, welche konkreten Schritte insoweit vorgenommen werden sollten (BR-Drs. 5/21 S. 126 = BT-Drs. 19/26107 S. 123).
Rz. 18
Die Adressatenbezogenheit der Regelung in Abs. 1 Satz 1 ergibt sich auch und insbesondere aus der Wahl der Überschrift des durch das KJSG v. 3.6.2021 mit Wirkung zum 10.6.2021 neu eingefügten § 5. Die Regelung trägt den Titel: "Mitteilungen an das Jugendamt". Der Titel geht zurück auf die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss); vgl. BT-Drs. 19/28870 S. 79, 113 und BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 61. Die Überschrift sollte so an den ebenfalls geänderten Normtext angepasst werden, da nunmehr ausdrücklich mit der Formulierung "... aus ihrer Sicht ..." auf die Perspektive der mitteilenden Stelle abgestellt wurde; ursprünglich sollte die Vorschrift den Titel "Zusammenwirken von Strafverfolgungsbehörden und Jugendamt" tragen (vgl. BR-Drs. 5/21 S. 27 = BT-Drs. 19/26107 S. 36).
2.1.1.4.2 Überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Rz. 19
Neben den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe macht die Vorschrift ausdrücklich auch die überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe – also die Landesjugendämter – zu Adressaten der Meldungen. Die Landesjugendämter als betriebserlaubniserteilende Behörden werden daher auch zu Adressaten der Meldungen im Falle ihrer Zuständigkeit (die Ergänzung der Landesjugendämter als Adressaten der Meldungen erfolgte durch die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) vgl.: BT-Drs. 19/28870, S. 79, 113 vgl. auch BR-Drs.. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 61 unter Bezugnahme auf Nr. 35 MiStra).
2.1.1.5 Zeitpunkt der Mitteilungspflicht – Unverzüglichkeit
Rz. 20
Sa...