0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 5 ist derzeit i. d. F. der Bekanntmachung des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) seit 10.6.2021 in Kraft.
Mit Art. 2 Nr. 3 des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) wurde § 5 mit Wirkung zum 10.6.2021 neu eingefügt (vgl. zu den Gesetzesmaterialien BR-Drs. 5/21 S. 27, 125 ff. = BT-Drs. 19/26107 S. 36, 122 f.; die in Gesetzeskraft erwachsene Formulierung geht zurück auf die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss), vgl. BT-Drs. 19/28870 S. 79, 113 (zu Art. 2 Nr. 3); vgl. des Weiteren auch BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 60 ff.).
1 Allgemeines
Rz. 2
Sinn des § 5 ist die Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt; damit soll ein möglichst umfassender und lückenloser Schutz von Kindern und Jugendlichen, insbesondere vor sexualisierter Gewalt gewährleistet werden (BR-Drs. 5/21 S. 124 = BT-Drs. 19/26107 S. 122). Der Gesetzgeber hat dies insbesondere damit begründet, dass bereits aus der Nähe von Kindern und Jugendlichen zu Personen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen bzw. derer verdächtig sind, für sie ein erhöhtes Gefährdungsrisiko resultieren kann. Damit ist auch klargestellt, dass der Verdacht einer Straftat gegen die betroffene Person nicht zwingend zulasten des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen bestehen muss.
Rz. 3
Hierfür führt § 5 eine erweiterte Mitteilungspflicht der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte an Jugendämter ein und stärkt damit die Kommunikation und auch Kooperation zwischen den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. § 5 erweiterte damit den Adressatenkreis der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) – vgl. Nr. 35 MiStra – hinaus auch auf Strafverfolgungsbehörden und Gerichte (BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 122).
Rz. 4
Struktur der Regelung: Abs. 1 Satz 1 regelt die Voraussetzungen und den Umfang der Mitteilungspflicht. Abs. 1 Satz 2 personalisiert die Mitteilungspflicht auf den zuständigen Staatsanwalt oder den zuständigen Richter. Zugunsten der zur Einschätzung des Kindeswohls nicht berufenen Richter und Staatsanwälte schafft Abs. 1 Satz 3 das Recht auf Beratung durch eine Fachkraft i. S. v. § 4 Abs. 2. Abs. 2 schließlich führt Regelbeispiele für die Annahme gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung auf.
Rz. 5
Korrespondierende Vorschrift ist § 8a SGB VIII, der den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung formuliert. Ergänzende Reglungen finden sich in § 4, der die Informationspflicht von Berufsgeheimnisträgern regelt (auf die Überschneidungen beider Regelungen hatte bereits der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien hingewiesen, vgl. BR-Drs. 5/21 S. 125 = BT-Drs. 19/26107 S. 122). Außerdem ergeben sich weitere Mitteilungsbefugnisse in Strafverfahren aus § 17 Nr. 5 EGGVG, die in Nr. 35 MiStra praxistauglich konkretisiert werden und ebenfalls der Abwehr erheblicher Gefahren von Minderjährigen dienen.
Rz. 6
Ggf. künftige Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), die regelmäßig in der Fachzeitschrift "Das Jugendamt (JAmt)" veröffentlicht werden, sind im Volltext auf der Webseite des DIJuF unter der Rubrik Publikationen, JAmt – Fachzeitschrift abrufbar (https://dijuf.de/veroeffentlichungen/jamt-fachzeitschrift, zuletzt abgerufen am 31.3.2023).
2 Rechtspraxis
2.1 Strafverfahren nach Abs. 1
2.1.1 Gefährdung während eines Strafverfahrens nach Satz 1
Rz. 7
Abs. 1 Satz 1 regelt die Mitteilungspflichten bei Bekanntwerden einer Kindeswohlgefährdung in einem Strafverfahren.
2.1.1.1 Sachlicher Anwendungsbereich; Strafverfahren
Rz. 8
Der sachliche Anwendungsbereich der Mitteilungspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 bezieht sich allein auf eröffnete und laufende Strafverfahren i. S. d. § 203 StPO, also bei solchen Verfahren, bei denen aufgrund eines abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO bereits der Eröffnungsbeschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegt (§ 203 StPO). Beschließt das zuständige Gericht in Strafsachen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen – § 204 StPO (Nichteröffnungsbeschluss) – scheidet schon der sachliche Anwendungsbereich von § 5 aus.
2.1.1.2 Gewichtige Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung
Rz. 9
Einzige Voraussetzung für die Auslösung einer Mitteilungspflicht ist das Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindes- oder Jugendlichenwohlgefährdung während eines laufenden Strafverfahrens.
Rz. 10
Die Einschätzung einer Gefährdung eröffnet dabei Entscheidungsspielräume der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden (hierauf hatte der Gesetzgeber ausdrücklich hingewiesen, vgl. BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 56, S. 61). Die Bejahung der Voraussetzung obliegt daher letztverantwortlich bei den Gerichten und den Strafverfolgungsbehörden und ist eine Einzelfallentscheidung.
Rz. 11
Das Merkmal gewichtige Anhaltspunkte für die Kindeswohlgefährdung dient der Sicherstellung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und damit dem Interesse der Betroffenen am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und macht das...