Rz. 31

Kernelement der Prüfung der Zulässigkeit der Selbstbeschaffung ist, ob die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub duldet, sog. Unaufschiebbarkeit. Zentrales Element ist damit der zeitliche Aufschub. Die Bezugspunkte der Unaufschiebbarkeit sind in Buchst. a und b geregelt. Ob die Deckung des Bedarfs zeitlichen Aufschub duldet, orientiert sich nach Buchst. a sowohl an der Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung als auch nach Buchst. b im ablehnenden Falle an der Entscheidung über ein Rechtsmittel. Nur wenn diese Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgen kann, kann der Betroffene die Kosten später im Rahmen einer berechtigten Selbstbeschaffung geltend machen (zur nicht rechtzeitigen Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Eingliederungshilfe – hier Besuch des Kindes in einer Kindertagesstätte – vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 25.10.2012, 7 A 10671/12; Rixen, Kein Kita-Platz trotz Rechtsanspruch? - Zum Aufwendungsersatz bei selbst organisierter Kinderbetreuung, NJW 2012 S. 2839).

 

Rz. 32

Von einer unaufschiebbaren Leistung ist dann auszugehen, wenn sie sofort, d. h. ohne nennenswerten zeitlichen Aufschub erbracht werden muss, mithin ein Eilfall vorliegt (zum Begriff unaufschiebbar vgl. Sächsisches OVG, Urteil v. 23.9.2016, 4 A 114/15; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.3.2003, 12 A 1193/01; als Auslegungshilfe kann insoweit auch § 15 SGB IX dienen, der die Erstattung selbst beschaffter Leistungen für das Recht der Rehabilitation behinderter Menschen regelt; vgl. auch bei lediglich Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 06/2022, § 36a SGB VIII, Rz. 34 ff.). Der Hilfeerfolg muss durch die Verzögerung nachhaltig gefährdet sein oder das weitere Abwarten muss eine unzumutbare Belastung für den betroffenen Leistungsberechtigten darstellen (Sächsisches OVG, Urteil v. 23.9.2016, 4 A 114/15; Münder, § 36a SGB VIII, Rz. 45 ff.). Die Bestimmung des Eilfalls unterliegt der Einzelfallbetrachtung und ist an den Bedürfnissen des Betroffenen auszurichten, für den die Hilfe zu einem bestimmten Zeitpunkt unabdingbar sein muss (so auch v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 36a Rz. 59 und 60). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe darf dabei die Hilfeentscheidung nicht rechtswidrig hinauszögern. Die Verzögerungsgründe müssen dabei in seiner Sphäre liegen. Allein der Grundsatz des Entscheidungsprimats rechtfertigt eine solche Verzögerung nicht. Eine solche rechtswidrige Verzögerung stellt eine unzumutbare Belastung dar. Dies gilt insbesondere bei einer Verzögerung zur Erstellung des Hilfeplans. Liegen die Gründe einer solchen Verzögerung allerdings in der Sphäre des Leistungsberechtigten, stellt sich die Verzögerung nicht als rechtswidrig dar (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 8.3.2016, 3 LA 81/14 Rz. 12).

 

Rz. 33

Namentlich bei der Durchführung einer Therapie ist dabei die Frage zu beantworten, ob diese binnen weniger Tage aufgenommen werden muss. Dabei ist im Interesse des Entscheidungsprimats des Jugendamtes und dem prinzipiellen Nachrang der Selbstbeschaffung auch die potenzielle Wirkung des Hilfeplanverfahrens in die Abwägung eines Eilfalls einzubeziehen, die umso stärker wiegt, je langfristiger eine Therapie notwendig ist (zum konkreten Fall vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.3.2003, 12 A 1193/01). Von einem unaufschiebbaren Bedarf ist regelmäßig auch dann auszugehen, wenn der bei Kindern und Jugendlichen dauerhaft bestehende Bedarf an adäquater Bildungsvermittlung wegen drohenden Verlustes an Zeit, die nicht nachgeholt, sondern nur angehängt werden kann, nicht mehr oder nicht ausreichend gedeckt werden kann; der Eingliederungshilfeträger hat – soweit er hierzu in der Lage ist – noch vor Schuljahresbeginn sowohl die Anspruchsvoraussetzungen als auch die infrage kommenden Hilfemaßnahmen pflichtgemäß zu prüfen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30.10.2014, 12 A 1639/14 Rz. 3 und 5). Beschränkt wird das Recht zur Selbstbeschaffung im Rahmen der Unaufschiebbarkeit, wenn der Leistungsberechtigte die Eilbedürftigkeit in vorwerfbarer Weise selbst hervorgerufen hat (Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 06/2022, § 36a SGB VIII, Rz. 35 mit weiteren Beispielen). Der Leistungsberechtigte ist verpflichtet, Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, sondern sich möglichst frühzeitig an das Jugendamt zu wenden. Teilweise wird die Auffassung vertreten, es läge ein zur Selbstbeschaffung nach Abs. 3 berechtigendes Steuerungsversagen vor, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe der Verpflichtung zum Abschluss einer Vereinbarung i. S. v. § 36a Abs. 2 Satz 2 nicht nachkommt (so im Ergebnis ohne nähere Begründung: Kunkel, Gesteuerte Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 2 SGB VIII, ZKJ 2007 S. 241, 242). Allein ein so geartetes Steuerungsversagen erfüllt aber nicht die positiv-rechtlichen Grundlagen für die Selbstbeschaffung, so wie sie in § 36a Abs. 3 geregelt sind. Die Verletzung der Pflicht kann daher allenfalls ein Indiz für das Merkmal "keinen ...

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