Rz. 9

Satz 1 nimmt dabei Bezug auf die Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Weiterentwicklung, Anwendung und regelmäßigen Überprüfung von Qualitätsmerkmalen zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und ihren Schutz vor Gewalt nach § 79a Satz 2 (BR-Drs. 5/21 S. 87 = BT-Drs. 19/26107 S. 90).

 

Rz. 10

§ 79a Satz 2 sieht die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen vor. Damit verpflichtet das Gesetz die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, konzeptionell die Rechte von Minderjährigen zu wahren und ihren Schutz in einem angemessenen Verfahren sicherzustellen. Diese Ergebnisse sind Grundlage der Verpflichtung in Abs. 1 Satz 1 (vgl. Komm. zu § 79a).

 

Rz. 11

Sinn der Regelung ist es, der Sonderstellung der Familienpflege innerhalb der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe Rechnung zu tragen (BR-Drs. 5/21 S. 87 = BT-Drs. 19/26107 S. 90).

 

Rz. 12

Verpflichteter ist der Träger der Jugendhilfe, allein dieser hat die Anwendung von Schutzkonzepten bei Pflegeverhältnissen sicherzustellen.

 

Rz. 13

Inhalt der Verpflichtung ist, das gemäß § 79a Satz 2 entwickelte allgemeine Konzept im Einzelfall zur Anwendung zu bringen. Zentraler Regelungsgegenstand ist der Gewaltschutz. Gewalt ist dabei umfassend zu verstehen und umfasst neben dem Schutz vor physischer Gewalt – also insbesondere vor sexueller und körperlicher Gewalt – auch den Schutz vor emotionaler und psychischer Gewalt; einschließlich der Vernachlässigung in der Pflegefamilie und Machtmissbrauch (vgl. insoweit auch den nicht in Gesetzeskraft erwachsenen Formulierungsvorschlag zu § 37b Abs. 1 Satz 1: BR-Drs. 5/21 (Beschluss), Nr. 22, S. 20; Sinn der beabsichtigten Regelung war es, eine Definition des Gewaltbegriffs zu normieren, um sicherzustellen, dass das zu erstellende Schutzkonzept alle Arten von Gewalt und Machtmissbrauch adressiert; vgl. im Übrigen weitergehend auch die Komm. zu § 79a).

 

Rz. 14

Dabei sind alle Faktoren eines etwaigen Gewaltrisikos zu berücksichtigen, und zwar sowohl intrinsische als auch extrinsische Faktoren. Daher kann auch Handlungsbedarf bestehen, wenn das Kind Gewalterfahrungen ausgesetzt ist, die nicht unmittelbar aus der Pflegefamilie herrühren oder hier ihren Ursprung haben. Das gilt namentlich bei entsprechenden Determinanten im schulischen Bereich, aber auch im Bereich des sozialen Umgangs des Kindes mit anderen.

 

Rz. 15

Das Gewaltschutzkonzept nach § 79a Satz 2 wird damit aus dem Bereich des allgemeinen Programmsatzes herausgehoben und erlangt Bedeutung für den individuellen Einzelfall (zu den Vorgaben des § 37b Abs. 1 für die Erarbeitung eines Schutzkonzepts, vgl. auch Ivanits, NZFam 2022 S. 813). Der Jugendhilfeträger ist zur Erstellung eines individualisierten Schutzkonzepts verpflichtet. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Funktionsbestimmungen und damit einhergehenden Ausgestaltungen der Familienpflege muss das auf struktureller Ebene nach § 79a Satz 2 entwickelte Schutzkonzept auf das individuelle Pflegeverhältnis angepasst werden. Aufgrund dieser Spezifika können Schutzkonzepte, wie sie z. B. in der Heimerziehung entwickelt wurden, nicht einfach übertragen werden, da sie von ganz anderen organisationalen Konstellationen ausgehen. Schutzkonzepte für Pflegeverhältnisse müssen daher in der Infrastruktur der Pflegekinderhilfe entwickelt und implementiert und auf den jeweiligen Einzelfall übertragen werden. Dabei ist den Spezifika der Pflegekinderhilfe Rechnung zu tragen (BR-Drs. 5/21 S. 87 = BT-Drs. 19/26107 S. 90 unter Bezugnahme auf Team "FosterCare 2020", Qualitätsstandards für Schutzkonzepte in der Pflegekinderhilfe, JAmt 2020 S. 234, ).

 

Rz. 16

Voraussetzung der individuellen Umsetzung ist insoweit eine eingehende Beratung von Pflegeeltern und Pflegekind zur Anwendung des Schutzkonzepts sowie eine flankierend zur Aufstellung des Hilfeplans nach §§ 36, 37c vorzunehmende Konkretisierung und Abstimmung dieses Konzepts im Hinblick auf das individuelle Pflegeverhältnis. Hierbei sind die Pflegeeltern und das Pflegekind i. d. R. zu beteiligen (auf diese Umsetzungsvoraussetzung weist der Gesetzgeber ausdrücklich selbst hin; vgl. BR-Drs. 5/21 S. 87 = BT-Drs. 19/26107 S. 90).

 

Rz. 17

Der zeitliche Anwendungsbereich zur Anwendung des individualisierten Schutzkonzepts ist dabei zwar ausdrücklich auf die Zeit der Dauer des Pflegeverhältnisses. Darin erschöpft sich allerdings die Verpflichtung zum Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in einer Pflegefamilie vor Gewalt nicht. Beratung und Abstimmung zum Schutzkonzept sollen dabei auch vor Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen in die Pflegefamilie erfolgen. Das Schutzkonzept versteht sich dann während der Dauer des Pflegeverhältnisses als partizipativer Prozess, der sich auf die gesamte Dauer des Pflegeverhältnisses erstreckt (BR-Drs. 5/21 S. 87 = BT-Drs. 19/26107 S. 90).

 

Rz. 18

Aufgrund des prozesshaften Charakters des individualisierten Schutzkonzepts und im Interesse des Kindeswohls besteht auch eine Überprüfungs- und F...

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