Rz. 28
Abs. 3 Satz 1 regelt, dass das Jugendamt den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend an Ort und Stelle überprüfen soll, ob die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Erziehung gewährleistet und gibt damit ausschließlich dem Jugendamt ein Recht zur Überprüfung an Ort und Stelle an die Hand, um so die Erziehung durch die Pflegeperson zu gewährleisten (zum Spannungsverhältnis dieser Vorschrift zu der übrigen Grundkonzeption des SGB VIII, das – in bewusster Abkehr vom früheren Jugendwohlfahrtsgesetz – nicht mehr Ausdruck staatlicher Eingriffsverwaltung, sondern ein modernes, präventiv orientiertes Leistungsgesetz sein soll, dessen oberstes Ziel es ist, die Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe zu unterstützen, vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 14; BGH, Urteil v. 21.10.2004, III ZR 254/03). Adressat der Verpflichtung ist damit nicht der Träger der freien Jugendhilfe. Mit der Vorschrift wird der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Kindeswohls gewährleistet – Art. 6 Abs. 2 GG. Voraussetzung für die Kontrolle vor Ort sind die Erfordernisse des Einzelfalls. Der unbestimmte Begriff ist restriktiv auszulegen. Die Kontrolle vor Ort stellt einen intensiven Eingriff in die Rechte der Pflegeperson dar. Von der Möglichkeit ist daher sparsam Gebrauch zu machen (zu den Rahmenbedingungen vgl. auch Marquardt/Wilhelm, Kindeswohlgefährdung in der Pflegefamilie: Verletzung der Kontrollpflichten durch das Jugendamt, FPR 2004 S. 437; auf den möglichen negativen Einfluss solcher Kontrollen auf die Kooperation zwischen den Beteiligten weist hin: Wiesner, § 37 SGB VIII, Rz. 39). Allerdings ist die Verpflichtung des Jugendamtes, die Pflegeperson an Ort und Stelle zu überprüfen, eine drittgerichtete Amtspflicht. Sie dient dem Schutz des Pflegekindes. Ihre Verletzung kann daher im Schadensfall Schadensersatzansprüche des Pflegekindes begründen (LG Stuttgart, Urteil v. 7.2.2003, 15 O 276/02; vgl. auch unten Rz. 15). Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren (Wiesner, § 37 SGB VIII, Rz. 41), indem die Interessen des Kindes und die grundrechtlich geschützten Rechte der Pflegeperson abzuwägen sind. In dieser Abwägung ist namentlich die Kooperationsbereitschaft der Pflegeperson zu berücksichtigen. § 37 Abs. 3 Satz 1 soll sicherstellen, dass das Jugendamt sich auch dann die notwendigen Informationen beschaffen kann, um sich ein Bild von der Pflegestelle zu machen, wenn beispielsweise das Beratungsangebot von der Pflegeperson nicht angenommen wird und das Jugendamt nicht schon auf diesem Wege einen Einblick in die Verhältnisse der Pflegefamilie erhält (so VG Hamburg, Urteil v. 30.11.1994, 8 VG 3341/93). Die baulichen oder hygienischen Voraussetzungen im Haushalt der Pflegeperson sind hingegen kein Kriterium. § 37 Abs. 3 Satz 1 zielt ausdrücklich nur auf die Erziehung ab. Ergeben sich konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls, reduziert sich das gebundene Ermessen dieser Soll-Vorschrift auf Null, da der Schutz des Kindes in Ausgestaltung von Art. 6 Abs. 2 GG Intention der Vorschrift ist.
Rz. 29
Im Gegensatz zur Beratungspflicht i. S. d. § 37 Abs. 2, der diese ausdrücklich auch vor Aufnahme des Kindes vorsieht, ist eine präventive Kontrolle vor Ort i. S. d. § 37 Abs. 3 Satz 1 unzulässig. Eine zeitliche Grenze, die die Kontrollpflicht in der Zukunft limitiert, ist nicht mit der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar. Der Gesetzgeber hat folgerichtig auch keine zeitliche Grenze in der Vorschrift aufgeführt. Das Entstehen einer neuen Eltern-Kind-Bindung schließt also die Kontrollpflicht nicht grundsätzlich aus. Auch diese soziale Elternschaft der Pflegeperson ist konfliktanfällig (Wiesner, § 37 SGB VIII, Rz. 39), allerdings geht mit der Verfestigung der sozialen Bindung regelmäßig auch die Abnahme des Gefährdungspotenzials einher. Die Übertragung des Personensorgerechts auf die Pflegeperson stellt dann einen weiteren Schritt dieser Verfestigung dar.
Rz. 30
Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift die Kontrolle an Ort und Stelle vor. Damit ist regelmäßig der Haushalt bzw. die Wohnung der Pflegeperson gemeint, die das Jugendamt zu besuchen hat. Die Besuche sind grundsätzlich anzumelden. Sie dürfen nur ausnahmsweise dann unangemeldet erfolgen, wenn der Zweck der Kontrolle vor Ort vereitelt würde. Dabei verbietet das verfassungsrechtlich garantierte Gebot der Unverletzlichkeit der Wohnung i. S. d. Art. 13 Abs. 1 GG ein Betreten der Wohnung gegen den Willen der Pflegeperson (Wiesner, § 37 SGB VIII, Rz. 42). Abs. 3 Satz 1 stellt daher keine gesonderte Eingriffsbefugnis dar, insbesondere keine Betretungs- und Besichtigungsrechte oder unmittelbar gegen die Person gerichteten Zwangsbefugnisse.
Rz. 31
Bei Verletzung dieser Verpflichtung kann das Jugendamt eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Kind treffen; namentlich, wenn nach einem Umzug der Pflegefamilie das Jugendamt erstmals für ein Pflegekind zuständig geworden ist und sich in engem zeitlichen...