Rz. 34
Satz 2 wiederholt den Gesetzestext aus der Grundregel des § 5 Abs. 2 Satz 1, danach soll der Wahl und den Wünschen entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (auf die Komm. zu § 5 wird insoweit verwiesen). Satz 2 ist daher eine entsprechende Konkretisierung des Wunsch- und Wahlrechts und entspricht dem § 36 Abs. 1 Satz 4 in seiner bis zum 9.6.2021 gültigen Fassung (vgl. BR-Drs. 5/21 S. 89 = BT-Drs. 19/26107 S. 91).
2.3.2.1 Wunsch- und Wahlrecht
Rz. 35
Das Wunsch- und Wahlrecht ergänzt das Beteiligungsrecht nach Satz 1 und steht insoweit gleichberechtigt neben diesem.
Rz. 35a
Gemäß § 37c Abs. 3 Satz 2 steht den Leistungsberechtigten das Recht zu, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Das Wunsch- und Wahlrecht steht daher den materiell Anspruchsberechtigten zu. Bei einer stationären Leistungserbringung nach § 35a steht daher das Recht dem Kind oder Jugendlichen zu. Bei einer Hilfe zur Erziehung nach § 27 steht das Recht hingegen de lege lata den Personensorgeberechtigten zu (Kepert/Fegert, ZKJ 2023 S. 49).
Rz. 36
Das hier geregelte Wunsch- und Wahlrecht ist eine Konkretisierung des in § 5 verankerten allgemeinen Wunsch- und Wahlrechts. Bei dem Wunsch- und Wahlrecht nach Satz 2 handelt es sich um eine Spezialvorschrift, die § 5 insoweit als lex specialis vorgeht; was praktische Bedeutung dafür hat, dass hier das Wahlrecht auch dem Kind und nicht allein dem Sorgeberechtigten zusteht. Satz 2 greift allerdings auch Teile dieser allgemeinen Vorschrift auf; so wiederholt Satz 2 insoweit § 5 Abs. 2 Satz 1.
Rz. 37
§ 5 ergänzt daher bei Lücken das hier geregelte spezielle Wunsch- und Wahlrecht. § 5 Abs. 1 erweitert daher auch das hier allgemein verankerte Wunsch- und Wahlrecht und lässt auch die Wahl privat-gewerblicher Einrichtung grundsätzlich zu (VG Karlsruhe, Urteil v. 14.2.2006, 8 K 1141/05 mit weiteren Argumenten).
Rz. 38
Bei Ausübung seines Wunsch- und Wahlrechts i. S. d. Satz 2 dominiert der Leistungsempfänger (Satz 4: der Wahl ist zu entsprechen; weitergehend zum Wunsch- und Wahlrecht vgl. Wiesner, noch zu § 36 SGB VIII, Rz. 43). Es umfasst auch die Möglichkeit, selbst Einrichtungen vorzuschlagen; es besteht daher ein echtes Vorschlagsrecht. Die Grundentscheidung über die Gewährung einer Hilfe determiniert er, da sie von seiner Entscheidung über die Inanspruchnahme der Hilfe abhängig ist. Hierbei ist die Hilfegrundentscheidung aber nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen; namentlich die Voraussetzungen der zugrunde liegenden Hilfenorm (§ 37, § 35a, § 41 – vgl. hier zu den einschlägigen Voraussetzungen) ersetzt das Wahlrecht nicht. Die Geeignetheit des gewählten Dienstes stellt dabei die unabdingbare Schranke des Wunsch- und Wahlrechts dar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 8.5.2018, 12 A 1434/16 Rz. 70).
Rz. 39
Inhaltlich erfasst das Wahlrecht das Recht auf Auswahl zwischen vorhandenen, im Hinblick auf das Wohl des jungen Menschen geeigneten Einrichtungen und Pflegestellen. Das Wahlrecht setzt daher voraus, dass eine geeignete und erforderliche Leistung überhaupt von verschiedenen Trägern bzw. von verschiedenen Einrichtungen oder Bediensteten eines Trägers angeboten wird. Es besteht also i. d. R. nicht die Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Leistungsarten oder der Wahl eines Trägers, der zwar die Leistungsart, diese aber nicht in der geeigneten Form anbietet (VG Münster, Urteil v. 17.5.2016, 6 K 975/15 Rz. 34).
Rz. 40
Das Wahlrecht begründet auch keinen Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, gewünschte neue Einrichtungen oder/und Dienste zu schaffen und damit das vorgehaltene Angebot zu erweitern (VG Münster, a. a. O., Rz. 43; mit krit. Anm. von Frings, Sozialrecht aktuell 2016 S. 211); das Wahlrecht umfasst daher nicht das Recht auf Angebotserweiterung. Das Wunschrecht betrifft die nähere Ausgestaltung der Hilfe, z. B. bezogen auf Personen, Inhalte, Methoden, Arbeitsformen und äußere Rahmenbedingungen der Leistung wie Dauer, zeitlicher Umfang und Ort der Leistungserbringung (VG Münster, a. a. O., Rz. 32).
2.3.2.2 Mehrkostenvorbehalt
Rz. 41
Dabei ist der Wahl und den Wünschen (nur) zu entsprechen, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Die Bindungswirkung an ein ausgeübtes Wahlrecht wird daher durch den (besonderen) Mehrkostenvorbehalt determiniert. Der Jugendhilfeträger hat dann das Recht, das ausgeübte Wahlrecht zurückzuweisen, wenn damit unverhältnismäßige Mehrkosten verbunden sind. Hierbei handelt es sich um die verhältnismäßigen Mehrkosten gegenüber anderen (geeigneten) Maßnahmen. Dabei ist ein Vergleich zwischen den Kosten der Maßnahme des ausgeübten Wahlrechts und den Kosten des Vorschlags des Jugendamtes anzustellen und zwar im Hinblick auf die jeweils gleiche Hilfeart; um eine Vergleichbarkeit sicherzustellen, müssen daher dieselben Kostenpositionen in den Vergleich eingestellt werden (vgl. insgesamt OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 8.5.201...