2.1 Geschützter Personenkreis
Rz. 3
Geschützt sind Kinder im Alter von weniger als 14 Jahren (§ 7 Abs. 1 Nr. 1) und Jugendliche, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 2). Die Inobhutnahme eines Ungeborenen kommt nicht in Betracht, erst recht nicht die Inobhutnahme eines eingefrorenen Embryos (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 15.1.2014, 12 A 2078/13). Unerheblich ist, ob sie unter elterlicher Sorge oder unter Pflegschaft oder Vormundschaft stehen. Ausländische Kinder und Jugendliche werden in Abs. 1 Satz 1 gesondert genannt. Junge Volljährige die 18, aber noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) und erst recht Volljährige gehören nicht zum geschützten Personenkreis. Das gilt auch für die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a (BVerwG, Urteil v. 26.4.2018, 5 C 11/17). Für sie kommt nicht die Inobhutnahme, wohl aber kommen Maßnahmen nach § 19 Abs. 1 (betreutes Wohnen), § 41 Abs. 1 (Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zur eigenverantwortlichen Lebensführung) als Krisenintervention in Betracht.
Rz. 4
Die Altersfeststellung, d. h. eine Prüfung, ob es sich bei der betreffenden Person um einen Jugendlichen oder um einen jungen Erwachsenen handelt, der das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, kam und kommt bei Inländern nur selten vor. Das Jugendamt hat ggf. Ermittlungen zur Altersfeststellung nach Maßgabe der §§ 20, 21 SGB X durchzuführen. Seit 2015 sind jedoch zahlreiche unbegleitete, fast ausschließlich männliche Personen nach Deutschland eingereist, die sich als Minderjährige ausgeben. Vielfach sind bei ihnen Ausweispapiere oder sonstige schriftliche Angaben über das Alter nicht vorhanden. Mündliche Angaben sind ungenau oder sogar widersprüchlich. Falsche Altersangaben haben außerdem den Hintergrund, dass die Minderjährigkeit Vorteile bringt, etwa eine bessere Unterbringung durch das Jugendamt statt durch Ausländerbehörden in einer Flüchtlingsunterkunft sowie eine geringere Wahrscheinlichkeit, abgeschoben zu werden (Kirchhoff, in: Luther/Nellissen, Juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 42 Rz. 50). Dies hat der Gesetzgeber erkannt und durch das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (VerbaKJUVBG) v. 28.10.2015 (BGBl. I S. 1802) die Vorschrift des § 42f mit Wirkung zum 1.11.2015 in das SGB VIII eingefügt (vgl. die dortige Kommentierung).
2.2 Anlässe für die Inobhutnahme
2.2.1 Selbstmelder
Rz. 5
Gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ist ein Kind oder Jugendlicher in Obhut zu nehmen, wenn derjenige darum bittet. In etwa einem Drittel der Fälle bittet das Kind oder der Jugendliche selbst um Obhut. Die Bitte und das deutlich werdende subjektive Schutzbedürfnis reichen aus (VG Meiningen, Urteil v. 27.4.2006, 8 K 807/05.Me). Insbesondere ist eine bereits eingetretene Gefährdung des Kindeswohls nicht erforderlich. Es genügt die – zumindest ernst gemeinte – Bitte des Kindes oder Jugendlichen um Obhut. Schon das in einer solchen Bitte zum Ausdruck kommende subjektive Schutzbedürfnis löst die Pflicht der Behörde zum Handeln aus, ohne dass es einer Begründung der Bitte durch das Kind oder den Jugendlichen oder einer Vorprüfung der Situation durch das Jugendamt bedarf. Nur so kann das mit der Regelung verfolgte Ziel, einen effektiven und unkomplizierten Schutz des Kindes oder Jugendlichen in Konfliktsituationen zu gewährleisten, erreicht werden (OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.9.2009, 4 LA 706/07, und die einhellige Auffassung in der Kommentarliteratur: Trenczek, in: Frankfurter Komm., SGB VIII, § 42 Rz. 10; Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 42 Rz. 9; Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, § 42 SGB VIII, Rz. 21; Möller, in: PK-SGB VIII, § 42 Rz. 7; Kirchhoff, in: Luthe/Nellissen, juris-PK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 Rz. 63.1). Die Bitte muss nicht in den Diensträumen des Jugendamtes erfolgen. Sie kann auch mündlich oder durch konkludente Äußerungen erfolgen. Sie bedarf zunächst keiner näheren Begründung. Allerdings ist es Aufgabe des Jugendamtes, anschließend den wirklichen Willen des Kindes bzw. des Jugendlichen zu erforschen und zu klären, ob eine Inobhutnahme oder eher eine Beratung oder sonstige Unterstützungsmaßnahme gewollt ist.
Die Umstände bei der Inobhutnahme müssen zur Beweissicherung in einem Aktenvermerk dokumentiert werden. Vorname, Name, Geburtsdatum und Anschrift des Kindes oder des Jugendlichen, die Namen der Personensorge- und Erziehungsberechtigten sind zu erfragen und zu dokumentieren. Dabei müssen Ort, Datum und Uhrzeit der Inobhutnahme sowie die Namen der handelnden Mitarbeiter des Jugendamtes, ggf. die Namen der Polizisten oder sonstiger Personen, die das Kind oder den Jugendlichen zum Jugendamt gebracht haben, aufgeführt werden. Falls Angaben verweigert werden, ist auch dies zu dokumentieren. Anschließend muss der wesentliche Inhalt des einleitenden Gesprächs mit dem Kind oder Jugendlichen und mit etwaigen Begleitpersonen – insbesondere die Bitte um Inobhutnahme – in den Vermerk aufgenommen werden. Sozialdaten, die dabei den Mitarbeitern des Jugendamtes zum Zwecke persönlicher und erz...