2.3.1 Arten der Inobhutnahme
Rz. 21
Abs. 1 Satz 2 HS 1definiert die Inobhutnahme als vorläufige Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen
bei einer geeigneten Person;
dabei kann es sich um Bezugspersonen handeln, die nicht sorgeberechtigt sind (z. B. auch Geschwister), oder um Pflegepersonen, die dazu keiner besonderen Pflegeerlaubnis bedürfen; denn ihre Eignung wird im Einzelfall gesondert geprüft.
in einer geeigneten Einrichtung;
die Eignung der Einrichtung bedingt zunächst einmal, dass die Voraussetzungen nach §§ 45 bis 47 erfüllt sind. Im Übrigen ist die Eignung der Einrichtung in dem jeweiligen Fall der Inobhutnahme nach Maßgabe des Abs. 2 zu klären.
in einer sonstigen Wohnform;
anders als nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut muss es sich nicht um eine betreute Wohnform handeln. Damit wird den Erfahrungen aus der Praxis Rechnung getragen, wonach bestimmte Jugendliche ausschließlich eine nicht betreute Wohnform akzeptieren.
Die im Gesetz gewählte Ausformung entspricht dem bisher in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 definierten Begriff. Obhut bedeutet, dass das Kind oder der Jugendliche grundsätzlich nicht bloß untergebracht oder verwahrt wird. Die Obhutpflichten des Jugendamtes sind in Abs. 3 im Einzelnen geregelt.
2.3.2 Rechtliche Qualifizierung der Inobhutnahme
Rz. 22
Die Inobhutnahme stellt aufgrund ihres Regelungsgehaltes nicht bloß einen Realakt, sondern einen Verwaltungsakt dar (BVerwG, Urteil v. 11.7.2013, 5 C 24/12; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 24.1.2013, 12 E 1259/12). Sie erfüllt alle Merkmale des Verwaltungsaktbegriffes nach § 31 SGB X. Sie entfaltet Rechtswirkung nicht nur gegenüber dem direkt betroffenen Kind oder dem Jugendlichen, sondern auch für den Personensorgeberechtigten. Gleiches gilt für die Beendigung der Inobhutnahme (VG Freiburg, Beschluss v. 4.5.2015, 4 K 804/15). Hieraus folgt, dass allein das Jugendamt als öffentlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe zur Anordnung der Inobhutnahme und zu deren Beendigung berechtigt ist. Das Jugendamt kann gemäß § 76 Abs. 1 anerkannte freie Träger mit der Durchführung der mit der Inobhutnahme verbundenen Maßnahmen als Verwaltungshelfer beauftragen, bleibt aber in der Verantwortung als Träger im Rahmen der Eingriffsverwaltung. Eine Beleihung des freien Trägers erlaubt § 76 nicht (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 3.3.2016, 7 A 10607/15 OVG, anhängig beim BVerwG, 5 C 7.16).
2.3.3 Sofortvollzug und einstweiliger Rechtsschutz
Rz. 23
Widerspruch und die ggf. nachfolgende Klage gegen den Bescheid über die Inobhutnahme haben gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Infolge dessen darf die Inobhutnahme solange nicht durchgeführt (vollzogen) werden, bis über den Widerspruch und ggf. die nachfolgende Klage entschieden worden ist. Gegen die Anordnung der Inobhutnahme aufgrund einer Altersfeststellung nach § 42f haben Widerspruch und Klage indes gemäß § 42f Abs. 3 keine aufschiebende Wirkung. Ansonsten entfällt die aufschiebende Wirkung jedoch nicht kraft Gesetzes. Da vielfach eine Gefährdung des Kindeswohls die Inobhutnahme gemäß Abs. 1 erfordert – gemäß Abs. 1 Nr. 2 ist die dringende Gefahr sogar Voraussetzung für die Inobhutnahme –, kann das zuständige Jugendamt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung anordnen mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung entfällt. Voraussetzung ist, dass die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist. Bei einer Gefährdung des Kindeswohls ist diese Voraussetzung erfüllt. Wichtig: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss im Bescheid gesondert angeordnet und schriftlich begründet werden. Einer besonderen Begründung bedarf es gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO nur dann nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum, vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft. Gefahr ist nur dann "im Verzug", wenn deren Abwendung keinen Aufschub duldet, wenn also gerade durch das Fertigen der an sich regelmäßig erforderlichen formellen Rechtfertigung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zweck des Verwaltungsakts vereitelt zu werden droht (Bay. VGH, Beschluss v. 21.12.2020, M 18 S 20.6711). Nach dem Vollzug der Inobhutnahme ist in einem solchen Fall die schriftliche Begründung nachzuholen (Bay. VGH, Beschluss v. 2.10.2020, M 18 S 20.4482). Nach Anordnung der sofortigen Vollziehung kann das Verwaltungsgericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den Bescheid wiederherstellen. Dieser Antrag kann von den Eltern oder auch von einem sorgeberechtigten Elternteil beim Verwaltungsgericht allein gestellt werden (VG Würzburg, Beschluss v. 28.7.2020, W 3 S 20.894).
2.3.4 Zuständigkeit
Rz. 24
Sachlich zuständig für die Inobhutnahme ist gemäß Abs. 1 Satz 1 das Jugendamt. Die örtliche Zuständigkeit ist in §§ 85 Abs. 1, 87 geregelt. Für die Inobhutnahme unbegleiteter ausländischer Kinder oder Jugendlicher ist gemäß § 88a Abs. 2 die aufgrund der Zuweisungsentscheidung gemäß § 42b Abs. 3 Satz 1 nach Landesrecht zuständige S...