Rz. 24

Sachlich zuständig für die Inobhutnahme ist gemäß Abs. 1 Satz 1 das Jugendamt. Die örtliche Zuständigkeit ist in §§ 85 Abs. 1, 87 geregelt. Für die Inobhutnahme unbegleiteter ausländischer Kinder oder Jugendlicher ist gemäß § 88a Abs. 2 die aufgrund der Zuweisungsentscheidung gemäß § 42b Abs. 3 Satz 1 nach Landesrecht zuständige Stelle verantwortlich. Die freien Träger der Jugendhilfe sind etwa dann, wenn sie von Selbstmeldern angegangen werden, verpflichtet, das zuständige Jugendamt einzuschalten, damit es über die Anordnung der Inobhutnahme entscheidet. Im Falle eines Widerspruchs der Personensorgeberechtigten ist die Inobhutnahme nur dann weiterhin verfahrensrechtlich rechtmäßig, wenn ihre sofortige Vollziehung angeordnet und schriftlich begründet worden ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO). Gegen den Bescheid über die Inobhutnahme ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Familiengericht entscheidet nach Inobhutnahme nicht über deren Rechtmäßigkeit, sondern lediglich über die Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung und diesbezüglich zu ergreifenden sorgerechtlichen Maßnahmen. Erst wenn das Familiengericht die Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung ablehnt und das Jugendamt die Inobhutnahme dennoch aufrechterhält, entsteht ein Herausgabeanspruch der Personensorgeberechtigten, weil die Wirksamkeit der Inobhutnahme nach der Systematik des mit der Entscheidung des Familiengerichts über die zu ergreifenden sorgerechtlichen Maßnahmen endet (OLG Frankfurt, Beschluss v. 22.1.2019, 4 WF 145/18).

 

Rz. 25

Die Inobhutnahme ist stets eine vorläufige Maßnahme, d. h. eine zeitlich eng umgrenzte Notmaßnahme, um eine akute Krisensituation zu entschärfen oder den Zeitraum zu überbrücken, den Jugendamt und Familiengericht benötigen, um eine tragfähige dauerhafte Lösung herbeizuführen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 29.8.2005, 12 B 1312/05). Die Inobhutnahme ist gegenüber familiengerichtlichen Entscheidungen nachrangig. Sie kommt bei Widerspruch der Personensorgeberechtigten nur in akuten Gefährdungssituationen in Betracht, die ein Abwarten der Entscheidung des Familiengerichts nicht erlauben. Vor der Inobhutnahme muss grundsätzlich versucht werden, eine Entscheidung des Familiengerichts einzuholen (OVG Greifswald, Beschluss v. 26.4.2018, 1 LZ 238/17; OVG Berlin, Beschluss v. 28.3.2017, OVG 6 S 8.17; OVG München, Beschluss v. 9.1.2017, 12 CS 16.2181).

 

Rz. 26

Hinsichtlich der Anlässe und hinsichtlich der sozialen Situation der Kinder und Jugendlichen zum Zeitpunkt der Inobhutnahme oder Herausnahme gibt die Jugendhilfestatistik nur wenige hilfreiche Anhaltspunkte (vgl. dazu: Meysen/Schindler, Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, JAmt 2004 S. 455 bis 463). Nur wenige werden an einem jugendgefährdenden Ort aufgefunden. Deutlich größer ist die Anzahl derjenigen, die nach vorherigem Ausreißen in Obhut genommen werden. Die deutlich größte Gruppe wird jedoch ohne vorheriges Ausreißen aus dem familiären Bereich in Obhut genommen. Dabei mag sich die Inobhutnahme nicht unmittelbar in der Familie, sondern in der Schule, im Kindergarten oder ähnlichen Orten abspielen (Meysen/Schindler, a. a. O.). Vielfach wurde und wird das Kind oder der Jugendliche somit aus der Obhut der Personensorgeberechtigten herausgenommen. Nach bisher geltendem Recht war das Jugendamt in § 43 dazu eigentlich nicht legitimiert.

 

Rz. 27

Abs. 1 Satz 2 HS 2 normiert die zuvor in § 43 a. F. geregelte und als Herausnahme des Kindes oder Jugendlichen bezeichnete Maßnahme. Das Gesetz gibt die bisherige begriffliche Differenzierung zwischen Inobhutnahme und Herausnahme auf. Im Fall von Satz 1 Nr. 2, d. h., wenn die dort normierten Voraussetzungen gegeben sind, ist das Jugendamt befugt, das Kind oder den Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen. Bisher war es vor Inkrafttreten der Vorschrift die vorherrschende Auffassung, dass weder § 42 noch § 43 a. F. zur Herausnahme des Kindes aus der eigenen Familie ermächtigten (dazu VG Weimar, Beschluss v. 11.8.2004, 5 E 5680/04) Vielmehr wurde dann lediglich die Herausnahme nach den Voraussetzungen der polizeirechtlichen Generalklausel bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die sofortige Anrufung des Familiengerichts für gangbar erachtet (Strick, in: Münchner-Kommentar, BGB, § 42 Rz. 7).

 

Rz. 28

Der aktuelle Wortlaut des Abs. 1 Satz 2 HS 2 ("von einer anderen Person") lässt zunächst vermuten, dass dies so geblieben ist. Doch in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3676 S. 37) wird ausgeführt, im Hinblick auf einen effektiven Kindesschutz sei die Differenzierung danach, ob das Kind zur Abwendung einer akuten Kindeswohlgefährdung dritten Personen oder den Personensorgeberechtigten wegzunehmen ist, nicht sachgerecht. Daher werde die Befugnis zur Wegnahme auf den Kreis der Personensorgeberechtigten selbst ausgeweitet. Die Inobhutnahme dürfe allerdings nur bei einer schwerwiegenden und dringenden Gefahr für das Wohl des...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge