Rz. 29
Abs. 2 Satz 1 bis 4 lehnt sich an die Regelungen der bisherigen Fassung des Abs. 1 Satz 2 bis 5 an, ändert aber deren Reihenfolge. Die Klärung der zur Inobhutnahme führenden Situation in Gesprächen mit dem Kind oder Jugendlichen wird bewusst an den Anfang gestellt. Sie soll unverzüglich erfolgen. Sie kann der Deeskalation oder sogar zur Klärung der akuten Krisensituation beitragen. Vor allem ist dieser sozialpädagogische Einstieg Grundlage dafür, dem Kind oder dem Jugendlichen in der nächsten Phase Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzeigen zu können.
Rz. 30
Nach Abs. 2 Satz 2 hat das Jugendamt dem Kind oder Jugendlichen unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Vertrauensperson kann ein Lehrer, Verwandter oder Nachbar oder auch ein Elternteil sein. Bevor das Jugendamt diese Gelegenheit gibt, hat es allerdings zu prüfen, ob das Kind oder der Jugendliche sich durch die Kontaktaufnahme nicht selbst gefährdet. Bestehen Anhaltspunkte dafür, so ist die Kontaktaufnahme zu dieser Person zu verhindern.
Rz. 31
In Abs. 2 Satz 3 sind die Pflichten, in Satz 4 die Befugnisse des Jugendamtes während der Inobhutnahme aufgeführt. Anders als bisher sind die Befugnisse nicht mehr auf einzelne Segmente der Personensorge begrenzt (Beaufsichtigung, Erziehung, Aufenthaltsbestimmung). Dies hatte verschiedentlich Probleme bereitet, etwa dann, wenn ärztliche Untersuchungen oder Behandlungsmaßnahmen zu veranlassen sind. Nunmehr werden dem Jugendamt die Pflicht und die Befugnis zugewiesen, für das Wohl des Kindes bzw. des Jugendlichen zu sorgen und dafür notwendige Rechtshandlungen zu treffen. Die Sicherstellung des Unterhalts und der Krankenhilfe werden exemplarisch genannt. Die Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sind in § 39, die Leistungen der Krankenhilfe werden nach Maßgabe von § 40 i. V. m. Vorschriften des SGB XII gewährt. Der durch das BKiSchG mit Wirkung zum 1.1.2012 eingefügte letzte HS des Abs. 2 Satz 3 stellt durch Verweis auf § 39 klar, dass die Leistungen auch die Erstattung nachgewiesener Beiträge zur Unfallversicherung und der hälftigen Beiträge zur Alterssicherung umfassen.
Rz. 32
Abs. 2 Satz 4 regelt die Befugnisse des Jugendamtes zur Vornahme von Rechtshandlungen während der Inobhutnahme. Durch die Regelung werden die Jugendämter grundsätzlich verpflichtet, für die von ihnen in Obhut genommenen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen umgehend von Amts wegen einen Asylantrag zu stellen, wenn internationaler Schutz in Betracht kommt. Die Verpflichtung bezieht sich auf die für die Inobhutnahme von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen zuständigen Jugendämter, also diejenigen Jugendämter, denen das Kind oder der Jugendliche nach § 42b Abs. 3 Satz 1 innerhalb von 14 Tagen zugewiesen wurde oder bei denen der unbegleitete Minderjährige – bei Ausschluss der Verteilung nach § 42b Abs. 4 – zur Inobhutnahme verbleibt.
Rz. 33
Die neue Regelung in Abs. 2 Satz 5 ist im Zusammenhang mit den bestehenden Regelungen in § 42 Abs. 2 Satz 4 zu betrachten. Danach ist das Jugendamt während der Inobhutnahme berechtigt und im Ergebnis auch verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Durch die neue Regelung wird in Bezug auf unbegleitete ausländische Minderjährige klargestellt, dass es sich bei der Asylantragstellung um eine solche Rechtshandlung handelt, die regelmäßig zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG benötigt. Das bedeutet auch, dass in Bezug auf den Zeitpunkt der Antragstellung auch zu berücksichtigen ist, ob die persönliche Situation des unbegleiteten Minderjährigen die Einleitung des Asylverfahrens zulässt. Ist dies der Fall, dann muss die Antragstellung aber auch unverzüglich erfolgen. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen. Die Verpflichtung des Jugendamtes zur Vornahme von Rechtshandlungen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind, umfasst im Falle der Asylantragstellung für einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen auch die Sicherstellung der Einhaltung von Mitwirkungs- und Handlungspflichten nach dem Asylgesetz (insbesondere nach §§ 15, 25, 33 und 71 AsylG). Durch die Regelung wird den Kommunen nicht unmittelbar eine neue Aufgabe zugewiesen, da nach § 69 Abs. 1 die Träger der Jugendhilfe durch Landesrecht bestimmt werden.
Rz. 34
Problematisch ist, dass das Verbot einer Erwerbstätigkeit nach § 60 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG im Falle der Stellung eines Asylantrages besteht. Das mit einem Verzicht der Asylantragstellung bzw. mit einer Rücknahme eines bereits gestellten Asylantrages verfolgte Ziel, dem minderjährigen unbegleiteten Ausländer mangels vom Jugendamt prognostizierter Erfolgsaussichten für einen Asylantrag ...