Rz. 2

Infolge der zahlreichen internationalen Krisenherde und sich ausweitenden Kriegs- und Bürgerkriegsgebiete ist die Zahl der nach Deutschland einreisenden Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet nach Deutschland kommen und im Inland weder mit einem Personensorgeberechtigten noch einem anderen Erziehungsberechtigten zusammenkommen, bereits zum Stichtag 31.12.2014 bundesweit auf 17.955 unbegleitete ausländische Minderjährige in vorläufigen Schutzmaßnahmen oder Anschlussmaßnahmen (Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige) angestiegen. Im Lauf des Jahres 2015 ist deren Zahl weiter stark angestiegen. Nach dem bisher geltenden Recht (§ 42 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 87) war für die Inobhutnahme das Jugendamt am Ort des ständigen Aufenthalts oder am Ort des Aufgreifens des Kindes oder Jugendlichen zuständig. Angesichts der an einzelnen Knotenpunkten in großer Zahl einreisenden Kinder und Jugendlichen hat der Gesetzgeber sich verpflichtet gesehen, sowohl die Zuständigkeit als auch die Rechte und Pflichten der Jugendämter für diesen Personenkreis gesondert zu regeln. Dazu wird eine bundesweite Aufnahmepflicht der Länder eingeführt, um ein am Kindeswohl und dem besonderen Schutzbedürfnis der jungen Menschen ausgerichtetes landesinternes und bundesweites Verteilungsverfahren eingeführt. Am Primat der Kinder- und Jugendhilfe bzw. an der Primärzuständigkeit des Jugendamtes für Erstversorgung, Unterbringung, Clearingverfahren und an die Inobhutnahme anschließende Hilfeleistungen für unbegleitete ausländische Minderjährige wird festgehalten. Das nach dem sog. Königsteiner Schlüssel vorgesehene Verteilverfahren wird insoweit modifiziert, wie das Kindeswohl dies gebietet (BR-Drs 349/15 S. 13). Die Bezeichnung "Königsteiner Schlüssel" geht zurück auf das Königsteiner Staatsabkommen der Länder von 1949, mit dem dieser Schlüssel zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen eingeführt worden ist. Inzwischen findet dieser Verteilschlüssel auf zahlreichen Gebieten Anwendung; er wird jährlich aktualisiert und im Bundesanzeiger veröffentlicht (Königsteiner Schlüssel 2015: BAnz AT 10.12.2014).

 

Rz. 3

Die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention sowie – für Betroffene, die einen Asylantrag im Sinne des europäischen Rechts stellen – der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 96) und der Verordnung Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 – Dublin III-VO) werden dabei berücksichtigt.

 

Rz. 4

Die Inobhutnahme nach § 42 stellt ebenso wie die vom Gesetzgeber ausdrücklich als vorläufig bezeichnete Inobhutnahme nach § 42a eine zeitlich eng umgrenzte Maßnahme dar (vgl. dazu die Komm. zu § 42 Rz. 12). Die Entscheidung über die dauerhafte Personensorge ist dem Familiengericht vorbehalten. Die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a ist zeitlich eng begrenzt auf den Zeitraum vom Grenzübertritt des Kindes oder des Jugendlichen bis zur Entscheidung über die Verteilung der Minderjährigen im Bundesgebiet und der Begleitung während der dabei erforderlich werdenden Reise. Ebenso wie die Inobhutnahme nach § 42 gehört auch die vorläufige Inobhutnahme zu den "anderen Aufgaben" i. S. d. § 2 Abs. 3 wo sie unter der Nr. 2 aufgeführt ist. Es handelt sich dabei um Aufgaben der Eingriffsverwaltung, die aus dem in § 1 Abs. 2 statuierten staatlichen Wächteramt resultieren (vgl. im Einzelnen die Komm. zu § 2 Rz. 11).

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