Rz. 5
Abs. 1 regelt die vorläufige Inobhutnahme unmittelbar nach der Einreise und vor der Entscheidung über die Verteilung der unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen und betont das Primat der Kinder- und Jugendhilfe. Der Aufenthaltsstatus des Betreffenden ist daher ohne Bedeutung. Zu den Begriffsdefinitionen und Altersgrenzen vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2. Kinder sind danach Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind; Jugendliche sind Personen, die 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Minderjährig ist derjenige, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Rz. 6
Die Altersfeststellung bei unbegleiteten Jugendlichen hat bereits in der Vergangenheit Probleme verursacht (vgl. OVG Hamburg, Beschluss v. 9.2.2011, 4 Bs 9/11, ZFSH/SGB 2011 S. 280 = JAmt 2011 S. 472; OVG Bremen, Beschluss v. 18.11.2015, 2 B 221/15, 2 PA 223/15; Espenhorst/Schwarz, KommunalPraxis spezial 2015 S. 142). Das Verfahren zur Altersfeststellung in Zweifelsfällen ist in § 42f geregelt.
Rz. 7
Ausländer ist gemäß § 2 Abs. 1 AufenthG jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 GG ist, also jeder, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat.
Rz. 8
Unbegleitet ist der Minderjährige, wenn er beim Grenzübertritt nicht von einem Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten begleitet wurde. Unerheblich ist, ob er in einer Gruppe mit anderen Erwachsenen die Grenze zur BRD überschritten hat. Der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen mit Wirkung zum 22.7.2017 eingefügte Satz 2 stellt dies klar und fügt hinzu, dass dies auch dann gilt, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. Die Voraussetzung für die vorläufige Inobhutnahme liegt auch dann vor, wenn der Minderjährige mit einem Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten ins Bundesgebiet einreist, aber nach der Einreise allein im Bundesgebiet zurückgelassen wird (Bay. VGH, Urteil v. 14.10.2022, 2 BV 20.2077).
Personensorgeberechtigte sind nach der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 diejenigen Personen, denen allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des BGB die Personensorge für den Minderjährigen zusteht. Erziehungsberechtigte sind nach der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 der Personensorgeberechtigte und jede sonstige Person über 18 Jahre, soweit sie aufgrund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt. Die Erziehungsberechtigung erfordert die tatsächliche Verantwortungsübernahme einer volljährigen Person für den Minderjährigen (Bay. VGH, a. a. O. mit Hinweis auf Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 7 Rz. 4), allerdings nicht nur begrenzt auf die Verrichtung erzieherischer Einzelaufgaben (Lack, in: BeckOGK Sozialrecht, § 7 SGB VIII Rz. 42). Nicht zwingend erforderlich ist hingegen, dass der Minderjährige mit dem Erziehungsberechtigten in einem Haushalt lebt (Lack, a. a. O., Rz. 46). Im Falle von minderjährigen Ausländern ist ggf. weiter zu fordern, dass zwischen dem erziehungsberechtigten Volljährigen und dem oder den Personensorgeberechtigten Kontakt, z. B. über Telefon oder soziale Medien (WhatsApp etc.) besteht, sodass ein Austausch über die wesentlichen Entscheidungen für den Minderjährigen erfolgen kann (Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 7 Rz. 4).
Rz. 9
Ebenso wie die Inobhutnahme nach § 42 stellt auch die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a eine gebundene Verwaltungsentscheidung dar. Sie erfüllt alle Merkmale eines Verwaltungsaktes (§ 31 Satz 1 SGB X). Berechtigt und verpflichtet ist ausschließlich der öffentliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
Rz. 10
Abs. 1 Satz 2 verweist auf § 42 Abs. 1 Satz 1, wonach die Inobhutnahme die Befugnis umfasst, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen (§ 42 Abs. 2 Satz 2). Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen (§ 42 Abs. 2 Satz 3). Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden (§ 42 Abs. 5). Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugte...