Rz. 12

Abs. 2 enthält umfangreiche Anforderungen an das Erstscreening der Situation des Minderjährigen. Damit soll eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung über die Verteilung sichergestellt werden. Nach Prüfung der in Satz 1 Nr. 1 bis 4 geregelten Anforderungen entscheidet das Jugendamt darüber, ob das Kind oder der Jugendliche nach dem Königsteiner Schlüssel im Bundesgebiet verteilt werden oder nicht.

 

Rz. 13

Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 soll nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 349/15 S. 20) der Richtlinie 2013/33EU Rechnung tragen, wonach die Mitgliedsstaaten beim Umgang mit Minderjährigen vorrangig das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und Minderjährigen einen der körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten haben. Das Jugendamt hat daher einzuschätzen, ob die Durchführung des Verteilungsverfahrens absehbar zu einer Gefährdung für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen führen kann. Bei der Feststellung, ob eine Gefährdung des Kindeswohls in Betracht kommt, ist in Abhängigkeit vom Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen dessen Wille einzubeziehen. Beispielhaft nennt die Gesetzesbegründung eine Beeinträchtigung der Transportfähigkeit aufgrund der körperlichen oder seelischen Verfassung oder die Gefahr einer (Re-)Traumatisierung aufgrund einer starken Ablehnungshaltung, die auf den seelischen Zustand des Minderjährigen zurückzuführen ist. Die Prüfung steht im engen Zusammenhang mit der nach § 42b Abs. 4 Nr. 1 durchzuführenden Prüfung einer Kindeswohlgefährdung,

 

Rz. 14

Nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ist zu prüfen, ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält. Eine vertiefte Recherche ist dabei nicht geboten (BR-Drs. 349/15 S. 21).

 

Rz. 15

Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gibt dem Jugendamt auf zu ermitteln, ob enge soziale Bindungen zu anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen bestehen bzw. während der Reise aufgebaut wurden, die unter Kindeswohlgesichtspunkten eine gemeinsame Verteilung und weitere Unterbringung dieser jungen Menschen notwendig machen. Geschwister sind zwingend gemeinsam zu verteilen (BT-Drs. 18/5921 S. 24).

 

Rz. 15a

Angaben eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings zu seinen Fluchtgründen im Kontext der vorläufigen Inobhutnahme unterfallen dem Sozialgeheimnis (§35 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Sie dürfen nicht durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG gegen den unbegleiteten minderjährigen Flüchtling verwertet werden, da sie zu den besonderen gesetzlichen Verarbeitungsregelungen i. S. d. § 8 Abs. 1 AsylG gehören (VG München, Urteil v. 22.9.2022, M 10 K 21.30727).

 

Rz. 16

Nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 soll i. d. R. eine ärztliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand des Minderjährigen eingeholt werden, die im Krankheitsfall insbesondere auch eine Aussage zur Dauer der Ansteckungsgefahr enthalten sollte. Damit soll verhindert werden, dass Kinder und Jugendliche mit ansteckenden Krankheiten verteilt und dadurch Dritte gefährdet werden. Der Ausschluss einer gesundheitlichen Gefährdung des Kindes oder Jugendlichen selbst durch die Verteilung ist bereits Gegenstand der Kindeswohlprüfung nach Nr. 1.

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