2.1 Altersfeststellung (Abs. 1)
Rz. 3
Die Altersfeststellung soll gemäß Abs. 1 Satz 1 "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person nach § 42a" erfolgen. Dies wirft die Frage auf, ob diese Feststellung vor oder während der vorläufigen Inobhutnahme erfolgen soll. Das Letztere ist der Fall. Ist nämlich unklar, ob die betreffende Person minderjährig oder volljährig ist, so wird sie zunächst einmal in vorläufige Obhut genommen und die Maßnahmen zur Altersfeststellung erfolgen anschließend. Dies folgt aus dem Wortlaut von Abs. 1 Satz 1, wonach die Minderjährigkeit der ausländischen Person "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme" festzustellen ist. Wird sodann Volljährigkeit festgestellt, so wird die Inobhutnahme beendet (§ 42f Abs. 3 Satz 1). Allenfalls in dem weniger häufig vorkommenden Fall, dass eine ausländische Person, bei der die Behörde von Volljährigkeit ausgeht und die vorläufige Inobhutnahme ablehnt, um weitere Maßnahmen zur Altersfeststellung nachsucht, erfolgt die Altersfeststellung vor Beginn der Inobhutnahme.
Rz. 4
Die Vorschrift normiert mehrere hintereinander gestaffelte Methoden der Altersfeststellung. Am Anfang steht – ungeschrieben – die Selbstauskunft der einreisenden Person. Diese sollte unbedingt schriftlich dokumentiert werden, um sie sodann mit den weiteren Erkenntnissen abgleichen zu können. Vielfach wird man schon vom Aussehen des Betreffenden ausgehend einschätzen können, dass er minderjährig ist (Kirchhoff, in: Luthe/Nellissen, juris-PK SGB VIII, § 42f Rz. 12). Ergeben sich aufgrund der Physiognomie Zweifel, ob es sich um einen älteren Jugendlichen oder einen jungen Erwachsenen handelt, so muss das Alter des Betreffenden mit den weiteren in der Vorschrift genannten Methoden festgestellt werden. Allerdings stellen die in solchen Gesprächen gewonnenen Eindrücke von äußeren Merkmalen wie Falten oder die Art der Fragebeantwortung (Gestik, Mimik, Habitus o. ä.) keine anerkannten und gerichtlich nachprüfbaren Kriterien der Altersbestimmung dar (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 4.3.2013, OVG 6 S 3.13, OVG 6 M 5.13).
Rz. 4a
Zweifel bei der Feststellung des Alters bestehen im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.8.2017, OVG 6 S 27.17, OVG 6 M 61.17; Bay. VGH, Beschlüsse v. 13.12.2016, 12 CE 16.2333, und v. 16.8.2016, 12 CS 16.1550; OVG Bremen, Beschluss v. 21.9.2016, 1 B 164/16).
Rz. 5
Aus der Vorschrift des § 33a SGB I kann keine gesetzliche Vermutung für die Richtigkeit der Erstangaben des Betreffenden zu seinem Geburtsdatum hergeleitet werden. Nach § 33a Abs. 1 SGB I das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitt s des SGB IV handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt, wenn Rechte oder Pflichten davon abhängig sind, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift geht hervor, dass der Gesetzgeber die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen in den Fällen verhindern wollte, in denen aufgrund einer Änderung von Geburtsdaten ein längerer Bezug von Sozialleistungen (z. B. des Kindergeldes) oder ein früherer Bezug derselben (z. B. einer Rente wegen Alters) beantragt wird (Hamb. OVG mit Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 5.10.2009, L 3 R 43/09; vgl. auch BSG, Urteil v. 5.4.2001, B 13 RJ 35/00 R). Nur wenn besondere Umstände, die eine Aufklärung nahelegen, fehlen, wird die Behörde das genannte Datum regelhaft als rechtlich verbindlich anzusehen haben (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 33a SGB I in BT-Drs 13/8994 S. 67). Die (Erst-)Angaben müssen nicht ungeprüft angenommen und dokumentiert werden.
2.1.1 Einsichtnahme in die Ausweispapiere
Rz. 6
Abs. 1 Satz 1 benennt die Einsichtnahme in die Ausweispapiere als erstes Mittel zur Altersfeststellung. Vielfach kann die betreffende Person jedoch keine Ausweispapiere vorlegen. Dann ist diese Alternative bereits verbraucht. Zur Durchsuchung der betreffenden Person und seines Gepäcks ist das Jugendamt nicht befugt. Für eine solche Zwangsmaßnahme bedürfte es einer spezialgesetzlichen Ermächtigung. Diese fehlt indes. Werden Ausweispapiere vorgelegt, so ist deren Beweiswert zu prüfen. Häufig differieren die Angaben in der Selbstauskunft und die Angaben in den Ausweispapieren hinsichtlich des Geburtsdatums und des Lebensalters des Betreffenden (Kirchhoff, in: Luthe/Nellissen, juris-PK SGB VIII, § 42f Rz. 20 mit Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 4.3.2013, OVG 6 S 3.13, OVG 6 M 5.13). Die Beweiskraft von Ausweispapieren ist außerdem begrenzt. Die Beweiskraft eines Reisepasses, der weder eine öffentliche Urkunde über Erklärungen i. S....