Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz – KJHG) v. 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163) eingeführt und trat zusammen mit den übrigen Vorschriften des SGB VIII mit Wirkung zum 1.1.1991 in Kraft. Sie ist seitdem unverändert geblieben. Das JWG enthielt zuvor keine vergleichbare Regelung. § 73 dient der Förderung der ehrenamtlichen Betätigung in der Jugendhilfe. Die Vorschrift dient dazu, die Jugendhilfe gesellschaftlich einzubinden und Selbsthilfebestrebungen sowie Eigeninitiative Privater zu unterstützen. Ihre Bedeutung liegt in der Vermittlung eines Leitbildes des Zusammenwirkens in der Jugendhilfe, das staatliche, entgeltliche und ehrenamtliche Tätigkeit zusammenbindet. Weil die Kinder- und Jugendhilfe Ehe und Familie als Fundamente der Gesellschaft berührt und damit den Kernbereich privater Lebensgestaltung betrifft, darf die Kinder- und Jugendhilfe nicht allein der Wahrnehmung durch Berufskräfte überlassen sein, sondern auch die private Initiative und ehrenamtliche Tätigkeit und damit alle Kräfte der Gesellschaft einbeziehen. Sie ist zugleich Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, das das SGB VIII durchzieht. Danach soll der Staat darauf verzichten, Aufgaben wahrzunehmen, die von freien Trägern oder Einzelpersonen erfüllt werden können (vgl. Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 73 Rz. 1). § 73 kann daher im Einklang mit § 12 Abs. 2, § 23 Abs. 4, § 25 und § 74 gesehen werden, die vorsehen, dass die Träger der Jugendhilfe Jugendverbände, Zusammenschlüsse von Tagespflegepersonen, selbstorganisierte Förderungen von Kindern durch Erziehungsberechtigte sowie die freie Jugendhilfe allgemein und deren Bestrebungen, Jugendhilfe eigenständig zu organisieren, unterstützen.
Rz. 2
§ 73 richtet sich nicht an die Institutionen, sondern an die tätigen Einzelpersonen. Er regelt die ehrenamtliche Tätigkeit dabei nicht, sondern setzt sie voraus. Darauf aufbauend geht es um zweierlei: Es geht zunächst um eine Förderung des gemeinnützigen Wirkens des Einzelnen mit dem Ziel, dieses Standbein der Jugendhilfe zu erhalten und zu stärken. Daneben geht es um eine Besserung der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der ehrenamtlichen Betätigung, um eine den gesetzlichen Zwecken entsprechende und effiziente Jugendhilfe zu gewährleisten.
Rz. 3
Historisch wurde Jugendhilfe überwiegend ehrenamtlich geleistet, wie sich § 6 RJWG entnehmen lässt (vgl. Gernert, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 73 Rz. 1 ff.; Wiesner/Wapler/Wiesner, 6. Aufl. 2022, SGB VIII, § 73 Rz. 2). Auch heute ist die praktische Bedeutung der ehrenamtlichen Tätigkeit in der Jugendhilfe beträchtlich (vgl. 12. KiJuBericht, 385; Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 73 Rz. 1, Stand: 2009; Schindler, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, § 73 Rz. 1). Sie ist namentlich für die freien Träger der Jugendhilfe und die Verbandsarbeit unverzichtbar. Nach dem 8. Jugendbericht aus dem Jahre 1990 waren in den alten Bundesländern etwa 400.000 Menschen in der Jugend- und Familienhilfe ehrenamtlich tätig (siehe BT-Drs. 11/6576 S. 162).
Rz. 4
Der praktische Nutzen der Regelung ist gering (vgl. Trésoret, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 73 Rz. 22). Nicht die Vereinnahmung und Majorisierung ist das Ziel, sondern die Unterstützung des gesetzlichen Auftrags. Überdies hilft die Vorschrift in der Praxis mitunter für die Gesetzesauslegung und Ermessensausübung (vgl. VG München, Urteil v. 12.1.2005, M 18 K 04.2789 Rz. 47).