1.1 Funktion und Bedeutung
Rz. 1
§ 74 hat eine Dreifachfunktion:
- Er konkretisiert den Förderungsauftrag der öffentlichen Jugendhilfe zugunsten der freien Jugendhilfe gemäß § 4 Abs. 3
- Er schafft damit die Voraussetzungen dafür, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe (partnerschaftliche Zusammenarbeit und Nachrang) gemäß § 4 Abs. 1 und 2 nicht als programmatische Aussagen leer laufen, sondern gelebtes Recht bleiben.
- Er gewährleistet auf diese Weise zugleich das Ziel der Trägerpluralität des § 3 Abs. 1.
Rz. 2
In der Praxis handelte es sich lange Zeit um eine der zentralen Vorschriften des Finanzierungsrechts der Einrichtungen der freien Jugendhilfe. In dieser Bedeutung wurde § 74 jedoch durch die speziellen Regelungen der §§ 78a bis g zwischenzeitlich abgelöst (vgl. Trenczek, ZKJ 2010 S. 142, 146), dies vor allem aufgrund der schwierigen Finanzlage öffentlicher Haushalte und der damit einhergehenden Einschränkung staatlicher Zuwendungen.
1.2 Systematische Einordnung
Rz. 3
§ 74 gehört zum 2. Abschnitt des 5. Kapitels des SGB VIII, das die institutionelle Ordnung der Jugendhilfe regelt. Während der 1. Abschnitt sich mit den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe befasst, ordnet der 2. Abschnitt die gesellschaftliche Mitwirkung durch ehrenamtliche Tätigkeit einerseits (§ 73) und freie Jugendhilfe andererseits (§§ 74 bis 78). Die dafür in §§ 3 f. gelegten Grundlagen des Verhältnisses und namentlich der Förderungsauftrag des § 4 Abs. 3 werden in § 74 durch bestimmte Rechtspflichten konkretisiert. Bei ihrer Auslegung sind daher die Wertungen des 1. Kapitels, namentlich die Trägervielfalt des § 3, das Leitbild der partnerschaftlichen Zusammenarbeit des § 4 Abs. 1, der Subsidiaritätsgrundsatz des § 4 Abs. 2 und das die Trägervielfalt bedingende Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten ebenso zu beachten wie die Gesamtverantwortung der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 79 (sog. Leit- und Fundamentalnorm des Jugendhilferechts, vgl. Kunkel, ZKJ 2013 S. 228, 229).
Rz. 4
Abzugrenzen ist § 74 (Maßnahmenförderung, Subventionsfinanzierung) von § 12 (Trägerförderung) und § 77 (Entgeltfinanzierung), die gemeinsam die gemäß § 4 Abs. 3 geforderte Förderung "nach Maßgabe dieses Buches" ergeben (Kunkel, ZKJ 2013 S. 228).
1.3 Anwendungsbereich und Verhältnis zu den übrigen Finanzierungsregelungen für Träger der Jugendhilfe und Verbände
Rz. 5
Seit dem 2. SGB XI-ÄndG v. 29.5.1998 (BGBl. I S. 1188), mit dem das neue Vereinbarungsrecht der §§ 78a bis g eingeführt wurde, setzt sich das Finanzierungsrecht nunmehr aus 3 Instrumenten zusammen: der überkommenen Förderung nach § 74, den Vereinbarungen über die Höhe der Kosten einer Inanspruchnahme nach § 77 und den Vereinbarungen über Entgelte nach §§ 78a ff. Dabei stehen die beiden Formen der vertraglichen Finanzierung nach § 77 einerseits und §§ 78 ff. andererseits in einem Ausschließlichkeitsverhältnis. Im speziellen Anwendungsbereich der Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung nach dem 3. Abschnitt sind Vereinbarungen nach § 77 ausgeschlossen.
Rz. 6
Demgegenüber schließen sich die Finanzierung durch Zuwendung nach § 74 und im Wege der Kostenübernahme nach § 77 nicht aus. Beide haben unterschiedliche Funktionen. Während die Vereinbarungen nach § 77 spezifische Entgelte regeln, die vom Umfang der individuellen Inanspruchnahme durch die Leistungsberechtigten abhängen, bezieht sich die Förderung gemäß § 74 pauschal auf Maßnahmen, mit denen ein Angebot von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen geschaffen wird, um die anschließende Gewährung von Leistungen zu ermöglichen (Abs. 2) oder andere Maßnahmen. Von daher folgerichtig fehlt insoweit der Bezug auf die individuelle Inanspruchnahme. Zum Verhältnis der Förderung nach § 74 und der Vereinbarung nach § 74 im Übrigen vgl. die Komm. zu § 77 Rz. 27.
Rz. 7
Dementsprechend unterschiedlich sind die Instrumente, mit denen die Förderung nach § 74 und die Vereinbarungen nach § 77 oder §§ 78a ff. umgesetzt werden (vgl. VG Hamburg, JAmt 2004 S. 595 ff. zur Jugendhilfe-Sozialraumpeditierung in Hamburg und der Frage, welche Finanzierungsform gegeben ist). Kosten- und Entgeltvereinbarungen sind öffentlich-rechtliche Verträge i. S. d. § 53 SGB X. Rechtsfehler sowie die Rückabwicklung von Leistungen richten sich daher nach §§ 53 ff. SGB X. Demgegenüber sind Förderungsentscheidungen i. d. R. Verwaltungsakte (Zuwendungsbescheide). Für sie gelten die Vorschriften über Widerruf und Rücknahme sowie die Fehlerfolgen des VwVfG bzw. des SGB X (§§ 39 ff.).
Rz. 8
Klärungsbedürftig ist das Verhältnis zwischen den Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklungen nach §§ 78a bis g und der Förderung gemäß § 74. Zu Unrecht wird verbreitet angenommen, die Förderung gemäß § 74 sei im Anwendungsbereich von Vereinbarungen nach §§ 78a bis g ausgeschlossen. Dass dies nicht zutrifft, zeigt sich bereits an der Verpflichtung zur Anrechnung von Förderungen aus öffentlichen Mitteln, die in § 78c Abs. 2 Satz 4 ausdrücklich vorgesehen ist. Die Annahme eines Verhältnisses der Alternativität überzeugt auch deshalb nicht, weil mit dem ...