2.1.1 Rechtscharakter
Rz. 10
Das Gesetz stellt die Förderung der freien Jugendhilfe nicht in das Belieben der öffentlichen Jugendhilfe. Die Vorschrift ist als Sollens-Verpflichtung gestaltet. Sie begründet damit ein intendiertes Ermessen: Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung; nur in begründeten Ausnahmefällen darf davon abgewichen werden (vgl. Sieben, VBlBW 2011 S. 223, 227; Kunkel, ZKJ 2013 S. 228). Die Verpflichtung hat subjektivrechtliche Qualität (str., vgl. dazu Wabnitz, ZKJ 2010 S. 99). § 74 Abs. 1 und 2 gewährt also einen klagbaren Anspruch auf Förderung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe (BVerwGE 134 S. 206; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.12.2006, 12 S 2474/06; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 11.1.2007, 12 S 2472/06; vgl. ausführlich Wabnitz, RdJB 2013 S. 72, 76 ff.; a. A. OVG Niedersachsen, Beschluss v. 17.5.2005, 12 ME 93/05).
2.1.2 Inhalt der Verpflichtung
Rz. 11
Der Inhalt der Verpflichtung hat zweierlei Gestalt:
- Er ist zum einen darauf gerichtet, die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe anzuregen; insoweit besteht eine voraussetzungsfreie Verpflichtung (vgl. Rz. 12 ff.).
- Soweit es darüber hinaus um eine Förderung geht, knüpft der Gesetzgeber den Anspruch indessen an eine Reihe von Voraussetzungen (vgl. Rz. 15 ff.). Sind diese nicht erfüllt, führt dies allerdings nicht dazu, dass eine Förderung nicht möglich ist. Sie kann vielmehr auch darüber hinaus stattfinden, was namentlich bei der Förderung freier Jugendgruppen zum Tragen kommt, die typischerweise dem Voraussetzungskatalog des § 74 Abs. 1 Satz 1 nicht genügen.
2.1.3 Anregen
Rz. 12
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 1 sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregen. Die Stoßrichtung liegt darin, die freiwillige Tätigkeit überhaupt erst zu schaffen. Was dabei unter freiwilliger Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe zu verstehen ist, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 2. Diese erfolgt anders als der Förderanspruch des § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 2 nicht trägerbezogen und kann auch in der öffentlichen Jugendhilfe stattfinden.
Rz. 13
Die ebenso knapp wie allgemein formulierte Aktiv-Verpflichtung hat u. a. den Zweck, die Trägervielfalt gemäß § 3 Abs. 1 zu gewährleisten (vgl. Rz. 1). Das Anregen setzt dementsprechend die Eigeninitiative der Träger der öffentlichen Jugendhilfe voraus. Es handelt sich um eine objektivrechtliche Verpflichtung. Von Fällen begründeter Ausnahmen abgesehen, müssen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe tätig werden. Ein Anspruch für einzelne Träger der freien Jugendhilfe wird hieraus nicht hergeleitet werden können, weil die Verpflichtung auf die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe schlechthin gerichtet ist. Wohl aber kann sie Auswirkungen auf die Ermessensausübung bei der Verbändeförderung und Jugendhilfeplanung haben.
Rz. 14
Inhaltlich beinhaltet das Anregen über ein rein kommunikatives Wirken hinaus (Zusprechen, Mutmachen und Auffordern, Jugendhilfe zu leisten) auch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und Anreize, die der Entwicklung freiwilliger Tätigkeit dienlich sind. Ein wichtiges mittelbares Instrument der Anregung dürfte die institutionelle Förderung der Einrichtungsträgerverbände sein, deren Betätigung im Wesentlichen zur Entwicklung der freien Jugendhilfe beiträgt. Bei Förderanträgen der Verbände ist dies ebenso zu berücksichtigen wie deren Mitwirkung in den Arbeitsgemeinschaften nach § 78.
2.1.4 Fördern
Rz. 15
Von zentraler Bedeutung ist die in § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 2 niedergelegte Verpflichtung, die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe zu fördern. Mit der Förderung ist jede Form der Unterstützung freier Träger gemeint. Eine Beschränkung auf finanzielle Zuwendungen ist nicht vorgesehen, auch wenn der Förderungsanspruch grundsätzlich auf die Gewährung von Mitteln gerichtet ist, wie namentlich HS 2 Nr. 2 zeigt. In Frage kommt demnach auch die Gewährung von Sach- und Personalmitteln, etwa die kostenfreie Überlassung von Räumlichkeiten sowie die Unterstützung mit Personal (vgl. Hauck, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 74 Rz. 9, Stand: 1997).
Rz. 16
In der Praxis herrscht die finanzielle Förderung vor. Bei gleichem wirtschaftlichen Wert lässt sie den Trägern auch die größere Gestaltungsfreiheit und ist daher im Hinblick auf das Gebot der Achtung der Selbstständigkeit der freien Jugendhilfe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 vorzuziehen. Dass der Gesetzgeber die finanzielle Förderung selbst für zentral hält, zeigt sich etwa in § 74 Abs. 3, wo von der Höhe der Förderung die Rede ist, und in Abs. 6, wo von Mitteln für die Fortbildung gesprochen wird. Dementsprechend wären die meisten Einrichtungen und Dienste der freien Jugendhilfe ohne die staatliche finanzielle Förderung nicht in der Lage, Aufgaben der Jugendhilfe dauerhaft zu erbringen. Sie ist damit essenziell, um die Trägervielfalt gemäß § 3 Abs. 1 sicherzustellen und instrumentell, um die Erfüllung des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten zu gewährleisten.
Rz. 17
Rechtsdogmatisch handelt es sich bei finanziellen Förd...