2.3.1 Anwendungsbereich
Rz. 34
Soweit von der freien Jugendhilfe Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen geschaffen werden, um die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe zu ermöglichen, kann die Förderung von der Bereitschaft abhängig gemacht werden, diese Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung und unter Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze anzubieten (Abs. 2 Satz 1). Es geht hierbei also ausschließlich um Träger, die Leistungen der Jugendhilfe, die in §§ 11 bis 41 beschrieben sind, erbringen.
2.3.2 Regelungszweck
Rz. 35
Die Regelung hat folgenden Sinn: Die öffentlichen Träger haben gemäß § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 2 die Vielfalt der freien Jugendhilfe und deren Selbständigkeit zu beachten. Andererseits sind die öffentlichen Träger, wie aus § 85 zu entnehmen ist, verpflichtet, die Leistungen der Jugendhilfe sicherzustellen. Sie haben außerdem das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten nach § 5 zu gewährleisten. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, hat der Gesetzgeber ihnen die Befugnis erteilt, die Förderung im Rahmen der Leistungserbringung von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen.
2.3.3 Angebotsverpflichtung
Rz. 36
Eine der Voraussetzungen, von denen der öffentliche Träger der Jugendhilfe die Förderung abhängig machen kann, ist die Bereitschaft zum Angebot der Leistungen nach Maßgabe der in § 80 geregelten Jugendhilfeplanung (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 3.9.2008, J 1.410/J 5.310 Ho, JAmt 2009 S. 77, 78). Damit dies realistisch erscheint, sind bei dieser Jugendhilfeplanung nach § 80 Abs. 3 die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe frühzeitig zu beteiligen. Denn nur eine Gesamtplanung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, die in der Lage war, das Leistungsangebot der freien Träger der Jugendhilfe zu berücksichtigen, kann umgekehrt für sich in Anspruch nehmen, deren Förderung von der Anpassung des Leistungsangebotes an die Gesamtplanung abhängig zu machen. Nur für diesen Fall trifft auch das Votum zu, dass das Erfordernis des Abs. 2 Satz 1 keinen Konflikt mit dem Subsidiaritätsgebot begründet, sondern gerade dessen Einhaltung ermöglicht (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2009 S. 77, 79).
2.3.4 Beachtung der Grundrichtungen der Erziehung nach § 9
Rz. 37
Darüber hinaus zu verlangen, dass die Leistungen unter Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze angeboten werden, ist sachgerecht. Danach sind die Vorstellungen der Personen- und Sorgeberechtigten hinsichtlich der Erziehung, die Förderung der Selbständigkeit und des Verantwortungsbewusstseins der Kinder oder Jugendlichen sowie die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, um Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern (vgl. auch Bernzen, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 74 Rz. 22).
2.3.5 Rechtliche Form der Verknüpfung zwischen Förderung und Trägerverhalten
Rz. 38
Rechtlich kann die Abhängigkeit der Förderung von der Bereitschaft des Trägers i. S. d. § 74 Abs. 2 Satz 1 entgegen verbreiteter Auffassung nicht nur durch Auflagen hergestellt werden (vgl. Kern, in: Schellhorn, SGB VIII, § 74 Rz. 23). In Betracht kommen vielmehr sowohl Nebenbestimmungen im Förderungsbescheid (durch Auflage, Bedingung oder Widerrufsvorbehalt) als auch Regelungen im Rahmen einer Förderungsvereinbarung (richtig Wiesner, SGB VIII, § 74 Rz. 33).
2.3.6 Problematik der Verknüpfung
Rz. 39
Die Verknüpfung zwischen Förderung und Jugendhilfeplanung sowie Grundrichtungen der Erziehung steht in einem Spannungsverhältnis zur Achtung der Selbständigkeit der freien Jugendhilfe.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde § 74 Abs. 2 Satz 2 aufgenommen. Man wollte der Gefahr vorbeugen, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Bedingungen für eine Förderung aufstellen, die die Unabhängigkeit der freien Träger grundsätzlich beeinträchtigen könnte (vgl. Bericht des Bundestagsausschusses, BT-Drs. 11/6748 S. 82; sowie Kern, in: Schellhorn, SGB VIII, § 74 Rz. 25). Deshalb wird darauf hingewiesen, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe unberührt bleibt und die öffentliche Jugendhilfe die Selbständigkeit mit den freien Trägern in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur zu beachten haben. Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben dies bei der Entscheidung über die Förderung im Rahmen von § 74 Abs. 2 zu berücksichtigen und Besonderheiten des trägerspezifischen Selbstverständnisses ggf. den Vorrang vor den allgemeinen Grundrichtungen der Erziehung gemäß § 9 oder allgemeinen Vorgaben der Jugendhilfeplanung zu gestatten.