2.5.1 Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Rz. 57
§ 74 Abs. 5 befasst sich mit der Konkurrenzsituation mehrerer Träger der freien Jugendhilfe, wenn es um die Förderung geht. Bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen mehrerer Träger sind danach gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen. Hierin kommt klar zum Ausdruck, dass Abs. 5 Satz 1 eine einfachgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG ist. Gleiche Grundsätze und Maßstäbe braucht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe allerdings nur anzulegen, wenn es um die Förderung gleichartiger Maßnahmen geht. Der Begriff der Gleichartigkeit steht damit im Mittelpunkt des Interesses und der Diskussion um § 74 Abs. 5.
2.5.2 Gleichartige Maßnahmen
Rz. 58
Um festzustellen, ob Maßnahmen gleichartig sind, kann zunächst auf die Leistungen der Jugendhilfe und andere Aufgaben der Jugendhilfe, die in § 2 Abs. 2 und Abs. 3 aufgezählt sind, zurückgegriffen werden. Es spricht eine Vermutung dafür, dass Maßnahmen, die derselben Nummer des Leistungs- bzw. Aufgabenkatalogs zugeordnet sind, gleichartig sind (OVGE 45 S. 158, 159). Hierin steckt der zutreffende Gedanke, dass für die Gleichartigkeit auf die Ziele der Maßnahmen und die Zielgruppen abzustellen ist. So zielen etwa alle Maßnahmen der Jugendsozialarbeit nach § 13 auf den Ausgleich sozialer Benachteiligung und die Überwindung individueller Beeinträchtigungen ab. Zielgruppe ist für alle Maßnahmen die Gruppe der sozial benachteiligten jungen Menschen (vgl. OVG Münster, Urteil v. 10.7.2003, 16 A 2822/01). Dass die Maßnahmeformen trotz gleichartiger Zielrichtung und Zielgruppe in der Ausgestaltung Unterschiede aufweisen, ist nicht relevant. Dies liegt in der Natur der Sache, ändert aber an der Gleichartigkeit i. S. d. § 75 Abs. 5 nichts (a. A. OVG Münster, NVwZ-RR 2004 S. 501).
2.5.3 Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
Rz. 59
Dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen hat, bedeutet nicht, dass er freie Träger, die gleichartige Maßnahmen anbieten, in jeder Hinsicht gleich fördern muss. Sofern er sachlich nachvollziehbare Gründe für eine Ungleichbehandlung nachweisen kann, ist eine unterschiedliche Förderung gerechtfertigt. Kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn der Träger eine Förderung mit der Begründung ablehnt, andere bewährte Träger würden bereits seit Jahren gefördert, sodass Fördermittel nicht zur Verfügung stünden (VG Stade, Urteil v. 16.11.1996, 1 A 298/96; v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 74 Rz. 30). Zur Differenzierung herangezogen werden darf nach dem Wortlaut von Abs. 5 Satz 1 allerdings die Eigenleistung der Träger. Bei der Bemessung der Eigenleistung sind nach § 74 Abs. 3 Satz 3 die unterschiedliche Finanzkraft und die sonstigen Verhältnisse zu berücksichtigen. Damit soll sichergestellt werden, dass auch kleine, lokale Träger der freien Jugendhilfe, obwohl sie im Vergleich zu kirchennahen Organisationen bzw. den Wohlfahrtsverbänden z. T. über geringere finanzielle Eigenmittel verfügen, dennoch im gleichen Umfang gefördert werden können (vgl. v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 74 Rz. 31).
2.5.4 Rechtsfolgen bei Verstoß
Rz. 60
Verwehrt ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem freien Träger unter Verstoß gegen § 74 Abs. 5 die Förderung, so kann dieser Verstoß zu einem Anspruch des benachteiligten Trägers auf Förderung führen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Ungleichbehandlung nur durch die Förderung des benachteiligten Trägers ausgeglichen werden kann. Dies dürfte i. d. R. der Fall sein, wenn die anderen Träger gleichartiger Maßnahmen die Förderung bereits erhalten und verwendet haben (str., wenn die Förderbescheide einen entsprechenden Vorbehalt enthalten, vgl. oben Rz. 56a). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss in diesem Fall die Fördermittel auch in folgenden Haushaltsjahren zur Verfügung stellen.
2.5.5 Förderung öffentlicher Träger
Rz. 61
Nach Abs. 5 Satz 2 gilt der Gleichheitssatz auch für das Verhältnis zwischen freien Trägern und öffentlichen Trägern. Durch dieses sog. "Besserstellungsverbot" soll eine Benachteiligung der freien Träger gegenüber den öffentlichen Trägern verhindert werden. Dieses Verbot gilt auch dann, wenn der öffentliche Träger selbst gar keine gleichartige Maßnahme durchführt (vgl. BVerwG, SRa 2010 S. 32, 37).
Die Maßstäbe, die für eine Förderung öffentlicher Träger gelten, sind danach auch auf freie Träger anzuwenden. Dass öffentliche und freie Träger bei der Förderung gleich zu behandeln sind, bedeutet jedoch nicht, dass ein öffentlicher Träger Haushaltsansätze für eigene Einrichtungen kürzen müsste, um zu verhindern, dass Zuwendungen an freie Träger gekürzt werden müssen (OVG Niedersachsen, Jugendhilfe 2000 S. 46 ff.).
Hieraus ergibt sich zugleich umgekehrt auch ein Verbot, freie Träger besser zu stellen (VGH Bayern, FEVS 44 S. 87; OVG Sachsen, Urteil v. 12.4.2006, 5 B 370/04; v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 74 Rz. 31). Dieses zuwendungsrechtliche Besserstellungsverbot schließt es allerdings nicht aus, dass private oder gemeinnützige Träger ihren Mitarbeitern höhere Vergütung zahlen, als ...