1 Rechtsentwicklung/Allgemeines
Rz. 1
§ 74a ist eine Öffnungsklausel für landesrechtliche Regelungen (vgl. Sieben, VBlBW 2011, 223, 224). Er stellt eine Spezialregelung zu § 74 für die Finanzierung von Tageseinrichtungen für Kinder dar (Mrozynski, Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII, § 74a Rz. 1). Die Vorschrift wurde durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) v. 27.12.2004 (BGBl. I S. 3852) mit Wirkung zum 1.1.2005 eingefügt. Mit ihr sollten die Länderkompetenzen bei Struktur- und Organisationsfragen gestärkt werden (vgl. BT-Drs. 15/3676 S. 39). Die Bundesländer erhalten die Möglichkeit, die Finanzierung von Tageseinrichtungen selbst zu regeln (BT-Drs. 15/3676 S. 39; vgl. auch VerfG Brandenburg, Urteil v. 30.4.203, 49/11 Rz. 80). Zuletzt geändert wurde § 74a durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) v. 10.12.2008 (BGBl. I S. 2403, 2406), welches mit seinem Art. 1 Nr. 15 mit Wirkung zum 16.12.2008 einen neuen Satz 2 in den Paragraphen einfügte. Dieser Satz 2 stellt klar, dass alle Träger von Einrichtungen, die die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen für deren Betrieb erfüllen, gefördert werden können. Bei dieser Formulierung handelt es sich um einen missglückten Kompromiss bezüglich der Einbeziehung privatgewerblicher Träger (vgl. eingehend OVG Münster, Urteil v. 1.12.2014, 12 A 2523/13 Rz. 123 ff.; vgl. auch BT-Drs. 16/10173 S. 11, 16).
2 Rechtspraxis
2.1 Regelung durch das Landesrecht
Rz. 2
Satz 1 begründet einen Regelungsauftrag und eine umfassende Öffnungsklausel für den Landesgesetzgeber in Bezug auf die Finanzierung von Tageseinrichtungen. Die Vorschrift kann daher in seinem Anwendungsbereich nicht als Prüfungsmaßstab für die durch den Landesgesetzgeber geschaffene Regelung herangezogen werden, soweit von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wurde (BVerwG, Urteil v. 21.2.2010, 5 CN 1/09; OVG Münster, Urteil v. 15.10.2012, 12 A 1054/11 Rz. 100; OVG Münster, Urteil v. 1.12.2014, 12 A 2523/13 Rz. 147; VG Karlsruhe, Urteil v. 25.11.2008, 8 K 1727/08 Rz. 28). Das gilt zumindest dann, wenn der Landesgesetzgeber von der Öffnungsklausel abschließend Gebrauch gemacht hat. Diese entfaltet in dem Fall nämlich eine Sperrwirkung (BVerwG, a. a. O.; OVG Münster, a. a. O., str.; a. A. Wabnitz, ZKJ 2007, 189, 191; ders., ZKJ 2009, 398; vgl. zu der Diskussion Fridrich/Lieber, VBlBW 2008, 81, 83 f.).
Rz. 3
Die Sperrwirkung greift allerdings nur dann ein, wenn der Landesgesetzgeber von seiner Kompetenz auch Gebrauch gemacht hat (BVerwG, Beschluss v. 28.5.2014, 5 B 4/14 Rz. 7; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24.1.2008, 7 A 10974/07, LNR 2008, 10487; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 1.2.2011, 12 S 1774/10). Das ist Folge des Regelungsmodells des Art. 72 Abs. 3 GG, wonach durch Bundesgesetz bestimmt werden kann, dass eine bundesrechtliche durch eine landesrechtliche Regelung abgelöst werden kann. Denn den Landesgesetzgebern soll insoweit im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nur der Vorrang eingeräumt (originäres Gesetzgebungsrecht der Länder; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.6.2008, 12 B 799/08 Rz. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, OVGE 50 S. 217), nicht hingegen ein Regelungsvorbehalt zugestanden werden. Die Vorschrift wird damit also nicht schlechthin unanwendbar. Vielmehr bedarf es zur Aufhebung ihrer Anwendbarkeit in jedem Fall einer landesgesetzlichen Regelung. In ihrem Anwendungsbereich verdrängt die Vorschrift die Ermessensentscheidung nach § 74 und ihre Regelungen für den Bereich der Finanzierung von Tageseinrichtungen (str., wie hier: BVerwG, Urteil v. 31.1.2010, 5 CN 1.09; BVerwG, Beschluss v. 28.5.2014, 5 B 4/14; VG Münster, Urteil v. 22.7.2014, 6 K 854/13 Rz. 39; a. A. Wabnitz, in: GK-SGB VIII, § 74a Rz. 29).
Rz. 4
Satz 1 erteilt dem Landesgesetzgeber die Befugnis, alle Aspekte der Finanzierung von Tageseinrichtungen für Kinder einschließlich der institutionellen Förderung der Träger der freien Jugendhilfe zu regeln (BVerwG, Urteil v. 21.1.2010, 5 CN 1.09, EuG 2010 S. 309; so auch Fridrich/Lieber, VBlBW 2008, 81, 84; Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 74a Rz. 4). Es ist daher z. B. grundsätzlich zulässig, durch das Landesrecht die Förderung von Tageseinrichtungen von einer Aufnahme in die Bedarfsplanung abhängig zu machen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 26.6.2008, 12 B 799/08, LNR 2008, 18329). Sie enthält nun insofern eine eindeutige Ermächtigung für die Länder (vgl. zu den einzelnen Landesgesetzen Degener/Happe, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 74a Rz. 4 ff.).
Rz. 5
Mit der Einführung des der Regelung in das SGB VIII wurde die Finanzierung von Tageseinrichtungen aus dem allgemeinen Finanzierungssystem des SGB VIII herausgenommen und als einzelne Materie den Landesgesetzgebern zugewiesen (RegBegr., BT-Drs. 15/3676 S. 39; Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 74a Rz. 6). Allerdings sind die Landesgesetzgeber in ihrer Gestaltung nicht völlig frei. Denn die Regelungsermächtigung enthebt den Landesgesetzgeber nicht von seiner Bindung an ...