1.1 Regelungsgegenstand
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit Art. 1 § 75 des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz – KJHG) v. 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163) eingeführt worden und am 1.1.1991 in Kraft getreten. Durch Art. 1 Nr. 37 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) wurde mit Wirkung zum 1.4.1993 Abs. 1 geändert und klargestellt, dass nur juristische Personen und Personenvereinigungen Träger der freien Jugendhilfe sein können. Im Übrigen ist die Vorschrift abgesehen von redaktionellen Änderungen unverändert geblieben. § 75 regelt, wer unter welchen Voraussetzungen als Träger der freien Jugendhilfe staatlich anerkannt werden kann, einen Anspruch auf Anerkennung hat bzw. von Gesetzes wegen – ohne eine behördliche Entscheidung – anerkannt ist. Sie verschärft damit eine besondere Form der Einbindung in die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe und mit dieser verbunden verschiedene Privilegierungen.
Rz. 2
Im Umkehrschluss zeigt § 75 zugleich, dass die staatliche Anerkennung nicht zu den Voraussetzungen der Betätigung als Träger der freien Jugendhilfe überhaupt gehört. Sie setzt vielmehr vorhandene Träger der freien Jugendhilfe voraus. Welche Bedingungen eine Person oder Organisation erfüllen muss, um überhaupt Träger der freien Jugendhilfe i. S. d. Gesetzes zu sein, wird weder an dieser Stelle noch anderswo im Gesetz definiert. Danach genügt es also, dass die jeweilige Einrichtung oder Organisation freiwillig Leistungen der Jugendhilfe erbringt, wie sie in § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 2 beschrieben sind und dass es sich nicht um einen öffentlichen Träger der Jugendhilfe handelt (vgl. zur Differenzierung Bernzen, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 75 Rz. 12 f.). Zu Unrecht wird als Wesensmerkmal der freien Trägerschaft bereits die Gemeinnützigkeit angesehen (wie hier: DIJuF-Rechtsgutachten v. 10.9.2012, J 1.320 Sch, JAmt 2012, 582, 583). Kennzeichnend dürften vielmehr die Staatsfreiheit und der Jugendhilfezweck sein.
Rz. 2a
Tatsächlich gibt es in wachsendem Umfang auch gewerblich tätige freie Träger. Diese Zugangsoffenheit entspricht dem Grundsatz der Trägervielfalt gemäß § 3 Abs. 1. Danach ist die Jugendhilfe durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierung und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet. Diese gesetzlich gewollte Vielfalt spiegelt sich in der Praxis wider. In der Jugendhilfe sind neben den Kirchen und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege eine Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen und Selbsthilfegruppen tätig. Typischerweise handelt es sich um eingetragene Vereine, es kommen jedoch auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und Stiftungen des bürgerlichen Rechts vor; die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Rz. 2b
Abs. 1 nennt unter den Nr. 1 bis 4 die Voraussetzungen für die Anerkennung als freier Träger und stellt die Anerkennung ins pflichtgemäße Ermessen. Wenn der freie Träger diese Voraussetzungen erfüllt und 3 Jahre lang im Bereich der Jugendhilfe tätig gewesen ist, erlangt er gemäß Abs. 2 einen Rechtsanspruch auf Anerkennung. Abs. 3 benennt diejenigen Institutionen und Körperschaften, die kraft Gesetzes als anerkannt gelten.
1.2 Rechtsfolge der Einbindung in die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe
Rz. 3
Die staatliche Anerkennung hat zur Rechtsfolge, dass die Träger der freien Jugendhilfe stärker eingebunden werden in die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe und damit auch mehr Verantwortung übernehmen. Im Einzelnen geschieht dies über folgende Mechanismen:
- Soweit die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen betreiben oder rechtzeitig beschaffen können, soll nach § 4 Abs. 2 die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.
- Anerkannte Träger der freien Jugendhilfe haben nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 sowie Abs. 4 das Recht, Mitglieder für den Jugendhilfeausschuss und den Landesjugendhilfeausschuss vorzuschlagen.
- Sie können gemäß § 76 Abs. 1 an der Durchführung vorläufiger Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, bei der Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren, bei der Beratung und Unterstützung bei Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sowie bei der Beratung und Unterstützung von Pflegern und Vormunden beteiligt werden; diese Aufgaben können ihnen außerdem zur Ausführung übertragen werden.
- Sie sind nach § 78 Abs. 1 in Arbeitsgemeinschaften vertreten, deren Bildung die öffentlichen Träger anstreben sollen.
- Anerkannte Träger sind schließlich nach Maßgabe von § 80 Abs. 3 und den landesrechtlichen Vorschriften an der Jugendhilfeplanung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.
1.3 Privilegierung bei der Förderung nach § 74
Rz. 4
Die staatliche Anerkennung führt außerdem dazu, dass die Träger stärker gefördert werden. Die Anerkennung ist allerdings keine Voraussetzung, um von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe Förderung zu erhalten. § 74 Abs. 1 unterscheidet nicht zwischen staatlich anerkannten und nicht staatlich ...