2.3.1 Kirchen und Religionsgemeinschaften
Rz. 20
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege sind Abs. 3 kraft Gesetzes und daher ohne dass es einer behördlichen Anerkennungsentscheidung bedarf, als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind auch nicht befugt, diese gesetzliche Anerkennung in Zweifel zu ziehen oder abzuerkennen. Die Formulierung "Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts" greift zurück auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung. Kirchen sind danach in erster Linie die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen. Andere Religionsgemeinschaften müssen zuvor den öffentlich-rechtlichen Status erlangen. Den Status einer Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts verleihen die Länder.
2.3.2 Verbände der freien Wohlfahrtspflege
Rz. 21
Auf Bundesebene zusammengeschlossene Verbände der freien Wohlfahrtspflege sind die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Caritasverband, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das Diakonische Werk und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (vgl. die Begründung in BT-Drs. 11/5948 S. 99). Ob sich diese Privilegierung auch auf die diesen 6 Spitzenverbänden angeschlossenen Landesverbände, regionalen und örtlichen Untergliederungen erstreckt, ist nicht ganz unumstritten. Nach Sinn und Zweck der Regelung spricht alles dafür, das Vertrauen, das der Gesetzgeber den auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbänden ausspricht, auch den Untergliederungen zuteilwerden zu lassen, aus denen sie sich zusammensetzen. Das gilt umso mehr, als die Regelung andernfalls weitgehend leer liefe, weil der Nutzen der Anerkennung im Wesentlichen nur auf der Ebene der Landes-, Regional- und Ortsverbände zum Tragen kommt (ebenso Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 75 Rz. 17; Wiesner/Wapler/Wiesner, 6. Aufl. 2022, SGB VIII, § 75 Rz. 18a: a. A. der Vorauflage aufgegeben; Trésoret, a. a. O., Rz. 96).
2.3.3 Jugendverbände
Rz. 22
Den auf Bundes- und Landesebene zusammengeschlossenen Jugendverbänden wird eine entsprechende gesetzliche Sonderstellung nicht zuerkannt. Da diese Verbände einer stärkeren Fluktuation unterliegen als die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und daher keine vergleichbare Kontinuität aufweisen – so die Begründung für diese Differenzierung (vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 99) –, müssen sie sich dem Zulassungsverfahren nach § 75 Abs. 1 und 2 stellen.
Rz. 23
Diese Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber muss sich ebenso an Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen wie die Privilegierung der Kirchen, Religionsgemeinschaften und auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege gegenüber allen andern Trägern der freien Jugendhilfe. Ob sie verhältnismäßig und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind, ergibt eine Abwägung der Gründe des Gesetzgebers mit den Nachteilen, welche die übrigen Träger der freien Jugendhilfe sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Jugendverbände erleiden. Da einerseits eine Anerkennung auf Antrag nach Abs. 1 und 2 unter akzeptablen Bedingungen offen steht und die Kirchen – Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts – sowie die Bundesverbände der freien Wohlfahrtspflege andererseits tatsächlich seit vielen Jahrzehnten ein hohes Maß an Kontinuität und Zuverlässigkeit aufweisen, wird man davon ausgehen können, dass die Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist (inzwischen allg. Auffassung; Wiesner/Wapler/Wiesner, 6. Aufl. 2022, SGB VIII, § 75 Rz. 19; Trésoret, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 75 Rz. 98; Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, § 75 Rz. 18).