2.1 Systematische Einordnung
2.1.1 Verhältnis zur Förderung nach § 74
Rz. 2
Zur systematischen Einordnung in das gesetzliche Finanzierungssystem gilt Folgendes: Kostenerstattungs- oder Pflegesatzvereinbarungen stellen nur eine von verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten dar, um den Betrieb der Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe zu finanzieren. So steht § 77 zum einen neben Maßnahmen der finanziellen Förderung der freien Jugendhilfe gemäß § 74 (sog. institutionelle oder projektbezogene Förderung). Die Förderung nach § 74 erfolgt durch Verwaltungsakt in Gestalt eines Zuwendungsbescheides. Die Förderung nach § 74 ha für den Einrichtungsträger den Vorteil, dass sie im Unterschied zu Kostenerstattungen auf der Grundlage von Vereinbarungen nach § 77 nicht an die Erbringung konkreter Leistungen der Jugendhilfe geknüpft sind. Die institutionelle oder projektbezogene Förderung nimmt ihm damit einen Teil des Auslastungsrisikos ab. Sie dient deshalb vor allem der (Teil-)Finanzierung der Anfangsinvestitionen für die Einrichtung oder bestimmte Maßnahmen.
Rz. 3
Demgegenüber lösen Vereinbarungen nach § 77 eine Zahlungspflicht der öffentlichen Träger nur in dem spezifischen Umfange aus, in dem tatsächlich Leistungen der Jugendhilfe durch den Träger der freien Jugendhilfe erbracht werden.
Rz. 4
Vorteile bestehen auch aus Sicht der öffentlichen Jugendhilfe, weil die Förderung ihr eine wesentlich wirksamere Möglichkeit zur Steuerung des Angebots und seiner Gestaltung verschafft. Angesichts knapper Kassen treten solche jugendhilfepolitischen Erwägungen derzeit eher in den Hintergrund. In der Praxis haben freie Träger und öffentliche Jugendhilfe leider meist nicht die Wahl.
2.1.2 Verhältnis zu Leistungsentgelten nach §§ 78a ff.
Rz. 5
Eine spezielle Form der Finanzierung freier Träger durch Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklungen regeln §§ 78a ff. Verträge auf dieser Grundlage der §§ 78a ff. betreffen nur die in § 78a genannten besonders kostenintensiven Leistungsbereiche. Es handelt sich um Sonderregelungen über die Entgeltfinanzierung stationärer und teilstationärer Hilfen. Für sie gelten ausschließlich die §§ 78a bis g als Spezialvorschriften, wie § 77 Satz 2 verdeutlichen soll. Die Formulierung "bleiben unberührt", ist daher unscharf. Eine Förderung nach § 77 kommt somit für die in § 78a Abs. 1 nicht genannten Bereiche, insbesondere für ambulante Hilfen in Betracht, etwa auch für die Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 1.
2.1.3 Verhältnis zu anderen Finanzierungsformen
Rz. 6
Das Finanzierungssystem der §§ 74 ff. ist – von den Sonderregelungen der §§ 78a ff. abgesehen – offen gestaltet. Es hat keinen abschließenden Charakter. Weitere Finanzierungsformen sind also nicht ausgeschlossen. Den freien Trägern ist es ferner nicht verwehrt, sich Kostenerstattungsansprüche der Leistungsberechtigten abtreten zu lassen. Das BVerwG hat dies für das Sozialhilferecht ausdrücklich bestätigt (BVerwG, FEVS 44/1994 S. 309). Es muss allerdings das Schriftformerfordernis aus § 56 SGB X beachtet werden, weil ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Sozialrechts abgetreten wird. Auch eine Geschäftsführung ohne Auftrag des freien Trägers für den öffentlichen dürfte als Rechtsgrundlage für einen Aufwendungsersatzanspruch nicht ausgeschlossen sein, wenn eine Rechtspflicht der öffentlichen Jugendhilfe gegenüber dem Leistungsberechtigten erfüllt wird (ablehnend BVerwG, a. a. O., für das Sozialhilferecht).
2.2 Bedeutung
Rz. 7
Das Verständnis von § 77 erklärt sich vor dem Hintergrund der in §§ 1 bis 5 entfalteten allgemeinen Grundsätze der Jugendhilfe. Trägerautonomie, Kooperationsprinzip, Subsidiaritätsgrundsatz und Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen werden zur praktisch gelebten Realität in dem Dreiecksverhältnis zwischen öffentlicher Jugendhilfe, freier Jugendhilfe und Leistungsberechtigten (sog. sozialrechtliches Dreiecksverhältnis, vgl. LSG Hessen, Beschluss v. 19.3.2008, L 9 SO 1/08 B ER Rz. 19; VG München, SRa 2015 S. 83, 84; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 77 Rz. 6; Kunkel, ZKJ 2008 S. 505; Meysen/Reiß, SRa 2015 S. 56). § 77 hilft, in diesem ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen:
- Die Inanspruchnahme der Leistungen wird infolge des Wunsch- und Wahlrechts der Betroffenen nach § 5 (zivilrechtlich) von den Empfängern der Jugendhilfe gesteuert. Grundlage der Leistungsabwicklung sind dabei jeweils Verträge zwischen dem Träger der freien Jugendhilfe und den Leistungsberechtigten, an denen die öffentliche Jugendhilfe nicht beteiligt ist.
- Da sich die Ansprüche der Leistungsberechtigten nach dem SGB VIII indessen gegen die öffentliche Jugendhilfe richten, muss diese grundsätzlich für die Kosten aufkommen, ohne Einfluss auf die Leistungsabwicklung und die Höhe des Entgeltes zu haben. Ihr gewährleisten die Vereinbarungen nach § 77 daher die Möglichkeit einer Steuerung des Umfangs der anfallenden Kosten, ohne andererseits das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen infrage zu stellen.
- Zugleich sichern diese damit den Trägern der freien Jugendhilfe sichert er die Finanzierung der Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen und Dienste durch die Leistungsempfänger und erleichtern beiden Seiten ...