0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 116a wurde durch Art. 3 Nr. 35 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch v. 24.3.2011 (BGBl. I S. 453) zum 1.4.2011 (vgl. Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes) neu in das SGB XII eingeführt. Weder im vorherigen BSHG noch im SGB XII gab es eine vergleichbare Vorgängerregelung. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404 S. 129) führt zum Hintergrund dieser Neuregelung wie folgt aus: "§ 116a enthält eine Sonderregelung zur Anwendung des § 44 SGB X. § 44 SGB X dient dazu, einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und dem Interesse des Leistungsberechtigten an materieller Gerechtigkeit für den Fall herzustellen, dass eine Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des Leistungsberechtigten rechtswidrig war. Diese Funktion des § 44 SGB X ist auch in diesem Buch unverzichtbar. Die Vierjahresfrist des § 44 Absatz 4 SGB X ist allerdings für die Leistungen dieses Buches, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts dienen und dabei im besonderen Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollen (sog. Aktualitätsgrundsatz), zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr ist sach- und interessengerecht. Leistungen können damit längstens bis zum Beginn des Jahres rückwirkend erbracht werden, das dem Jahr der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes oder der darauf gerichteten Antragstellung vorausgegangen ist. Dies trägt auch zur Entlastung der Träger der Leistungen und der Sozialgerichte bei."
Durch Art. 3 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht v. 26.7.2016 (BGBl. I S. 1824) wurde die Norm mit Wirkung zum 1.1.2017 geändert. Mit Nr. 1 der Neuregelung wird eine weitere Modifikation des § 44 SGB X vorgenommen. Rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte sind nach § 44 Abs. 1 und 2 SGB X nach der Änderung nicht später als 4 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben wurde, zurückzunehmen. Ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird. Der bisherige Text bildet nunmehr die Nr. 2. Hintergrund dieser Änderung sind nach der Gesetzesbegründung die Entscheidungen des BSG v. 12.12.1996 (11 RAr 31/96) und v. 13.2.2014 (B 4 AS 19/13 R), nach denen die auf 4 Jahre verkürzte Frist nach § 44 Abs. 2 SGB X auf nicht begünstigende Verwaltungsakte, die insbesondere die Aufhebung, Erstattung und den Ersatz von bereits erbrachten Leistungen verfügen, keine Anwendung findet (BT-Drs. 17/8909 S. 37). Hier greife die bisherige Regelung also nicht, so die Gesetzesbegründung. Dies habe zur Folge, dass solche Verwaltungsakte 30 Jahre lang verpflichtend zu prüfen und ggf. zurückzunehmen und bereits beglichene Forderungen zurückzuzahlen seien. Dieses Ergebnis sei für den Bereich der Fürsorgeleistungen unbefriedigend (vgl. BT-Drs. 17/8909 S. 33).
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift stellt eine Ausnahmeregelung zu § 44 SGB X dar, der eine Möglichkeit schafft, einen belastenden Verwaltungsakt trotz dessen Bestandskraft 4 Jahre rückwirkend noch zu überprüfen (zu den Voraussetzungen einer Überprüfung vgl. die Komm. zu § 44 SGB X). § 116a begrenzt den Anwendungsbereich des § 44 SGB X auf eine rückwirkende Überprüfung von grundsätzlich nur noch einem Jahr. Parallelregelungen befinden sich in § 40 Abs. 1 SGB II und § 9 Abs. 4 AsylbLG.
2 Rechtspraxis
Rz. 3
Diese Regelung hat in der Praxis große Bedeutung. Durch § 44 SGB X stehen Entscheidungen im Sozialrecht grundsätzlich für mindestens 4 Jahre einer erneuten Überprüfung offen. Dies hat in der Praxis – gerade im Bereich der Grundsicherung nach dem SGB II und XII – zu einem erheblichen Verfahrensaufkommen geführt. Die Regelung soll nach der Gesetzesbegründung die Anwendung des § 44 SGB X begrenzen, da die steuerfinanzierten Leistungen des SGB XII der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen und dabei im besonderen Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken soll (BT-Drs. 17/3404 S. 129). Darüber hinaus sollen die Leistungsträger und die Sozialgerichte entlastet werden (BT-Drs., a. a. O.).
2.1 Zeitliche Anwendbarkeit der Regelung (§ 136 SGB XII a. F.)
Rz. 4
§ 136 SGB XII i. d. F. vom 24.3.2011 (gültig bis 31.12.2012) sieht einen Bestandsschutz für Anträge, die vor dem 1.4.2011 gestellt wurden, vor. Für diese Anträge findet § 116a keine Anwendung. Dies gilt auch für Fälle, die erst nach Außerkrafttreten des § 136 SGB XII einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt wurden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.6.2015, L 20 SO 103/13). An der Beurteilung des anwendbaren Rechts ändert sich nichts dadurch, dass die Regelung zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits außer Kraft getreten ist (BSG, Urteil v. 17.12.2015, B 8 SO 24/14 R).
2.2 Leistungen nach dem SGB XII
Rz. 5
§ 116a gilt für sämtliche Leistungsbereiche des SGB XII. Eine Begrenzung auf bestimmte Leistungsarten lässt sich dem Wortlaut des § 116a nicht entnehmen. Die Regelung gilt daher nicht nur für die Leistungsgewährung im engeren Sinne, sondern auch für andere Entscheidung...