Rz. 22
Mit der Härtefallregelung des Abs. 1 Satz 2 hat der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, ausnahmsweise abweichend von Abs. 1 Satz 1 doch Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Als Ausnahmevorschrift ist Abs. 1 Satz 2 restriktiv auszulegen.
Rz. 23
Der Begriff "besondere Härte" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, hinsichtlich dessen dem Sozialhilfeträger jedoch kein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht, sondern der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (BSG, Urteil v. 1.7.2009, B 4 AS 67/08 R). Es sind jeweils sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Rz. 24
Ein besonderer Härtefall liegt vor, "wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses nach Abs. 1 Satz 1 über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheint" (BVerwG, Urteil v. 14.10.1983, 5 C 16/91; daran anknüpfend: BSG, Urteil v. 6.9.2007, B 14/7b AS 36/06 R zu dem wortgleichen § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.11.2006, L 20 B 113/06 SO ER, und v. 4.8.2014, L 9 SO 279/14 B ER). Es muss sich danach um einen außergewöhnlichen, atypischen Sachverhalt handeln. Ob ein solcher atypischer Sachverhalt vorliegt, hängt danach entscheidend davon ab, aus welchem Grund der Hilfesuchende keine Leistungen nach dem speziellen Förderungsgesetz erhält und ob der Anspruchsausschluss dem Regelfall des Abs. 1 Satz 1 entspricht.
Rz. 25
Im Hinblick darauf ist zunächst zu ermitteln, ob sich die Situation des Auszubildenden so weitgehend von derjenigen anderer Auszubildender abhebt, dass sie sich bei wertender Betrachtung als außergewöhnlich und atypisch darstellt. Dabei kann sich die Atypik auch aus einem Zusammentreffen mehrerer ungewöhnlicher Einzelfallumstände ergeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss v. 6.5.1996, 4 M 1543/96).
Rz. 26
Davon ausgehend ist ein besonderer Härtefall nicht schon deshalb anzunehmen, weil die Ausbildungsförderung niedriger liegt als eine ohne die Ausbildung zu beanspruchende Hilfe zum Lebensunterhalt. Vielmehr können die Betreffenden im Hinblick auf den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1) grundsätzlich darauf verwiesen werden, sich den Unterschiedsbetrag selbst zu verdienen (BVerwG, Beschluss v. 20.1.1988, 5 B 102/87). Die darin liegende Doppelbelastung ist nicht atypisch. Dagegen kann ein Härtefall vorliegen, wenn dem Auszubildenden die Ausübung einer Nebentätigkeit zu Erwerbszwecken von der Schule untersagt wird oder aus anderen Gründen unmöglich ist und darüber hinaus sämtliche Personen der Haushaltsgemeinschaft, in der er lebt, ein Einkommen haben, das die Sozialhilfesätze nicht überschreitet (HessVGH, Beschluss v. 22.3.1990, 9 TG 48/90). Ebenso kann der Auszubildende auf anderweitige Verdienstmöglichkeiten nicht verwiesen werden, wenn ihm seine Gesundheit und insbesondere eine Schwerbehinderung die Erwerbstätigkeit nicht gestatten (vgl. z. B. OVG Berlin, Urteil v. 7.6.1984, 6 B 68.83; HessVGH, Beschluss v. 4.6.1992, 9 TG 2812/91).
Die Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG zur Parallelvorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II, nach der arbeitsmarktbezogene Härtegründe vorliegen können, ist auf § 22 Abs. 1 Satz 2 nicht ohne weiteres übertragbar, weil insbesondere Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII keine "Erwerbszentriertheit" nach dem Grundsatz des Förderns aufweisen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.8.2014, a. a. O.).
Rz. 27
Besondere Probleme ergeben sich bei der Erziehung eines Kindes neben der Ausbildung, da hierdurch ein zusätzliches Erschwernis besteht, neben der Ausbildung für den eigenen Lebensunterhalt zu arbeiten. Die Rechtsprechung ist insoweit gespalten. Überwiegend wird angenommen, die Kindererziehung stelle für sich genommen selbst im Falle der Alleinerziehung keine besondere Härte dar, weil sie keine außergewöhnliche gesellschaftliche Erscheinungsform unter Auszubildenden sei (OVG Bremen, Beschluss v. 25.1.1991, 2 B 9/91; HessVGH, Beschluss v. 15.6.1992, 9 TG 218/92; OVG Hamburg, Beschluss v. 14.7.1993, Bs IV 150/93; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 3.6.1994, 6 S 1282/94; OVG Hamburg, Beschluss v. 7.11.1996, Bs IV 337/96; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 11.8.1999, 1 M 68/99 – auch schon für die der Alleinerziehung vorausgehende Schwangerschaft; a. A. für einen Sonderfall OVG Berlin, Beschluss v. 27.7.1995, 6 S 120/95; grunds. a. A. OVG Lüneburg, Beschluss v. 29.9.1995, 4 M 5332/95 für die Erziehung eines Kindes unter 3 Jahren; Urteil v. 26.6.2002, 4 LB 35/02; OVG Saarlouis, Beschluss v. 28.8.2001, 3 W 9/01). Gegen die überwiegende Rechtsprechung, die in derartigen Fällen einerseits einen Ausschlusstatbestand i. S. v. Abs. 1 Satz 1 und andererseits keinen Härtefall i. S. v. Abs. 1 Satz 2 annimmt, ist in der Literatur Kritik laut geworden: § 22 diene i...