Rz. 92
Bis zum 1.1.2011 befand sich die Regelung nahezu wortlautgleich in § 28 Abs. 5. a. F. Sie ist inhaltsgleich mit § 3 Abs. 3 der Verordnung zu § 22 BSHG. Die Übernahme in das SGB XII erfolgte aus systematischen Gründen im Zusammenhang mit der Neukonzeption der Regelsätze (BT-Drs. 15/1514 S. 59). Bis zum 31.12.2016 war sie Gegenstand von Abs. 4 Satz 3, dessen Regelungsinhalt sich seitdem - als Folgeänderung der Neufassung des Abs. 4 - in dem neuen Abs. 5 findet (BT-Drs. 18/9984 S. 90).
Rz. 93
Es handelt sich dabei im Grunde um einen besonders geregelten Anwendungsfall des Abs. 4 Satz 1 Nr. 2. Denn die durch die Unterbringung in der anderen Familie oder bei der anderen Person entstehenden tatsächlichen Mehrkosten sollen durch die Regelung abgegolten werden. Dies ist im Ergebnis nichts anderes als eine Regelsatzerhöhung aufgrund eines abweichenden erhöhten Bedarfs.
Rz. 94
Als Bedarf ist dabei grundsätzlich alles zu berücksichtigen, was der Untergebrachte zum notwendigen Lebensunterhalt (vgl. Rz. 6) benötigt. Allerdings steht die Übernahme der tatsächlich entstehenden Kosten, ähnlich wie bei Abs. 1 Satz 2, unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. Je nach Näheverhältnis zu der untergebrachten Person kann ggf. auch eine Vermutung der Bedarfsdeckung (§ 39) in Betracht zu ziehen sein (vgl. Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 6. EL 2023, 27a Rz. 77).
Rz. 95
In der Praxis hat sich jedoch wegen der mit der tatsächlichen Ermittlung der Mehrbedarfe verbundenen Schwierigkeiten und des Aufwandes eine Abgeltung des zusätzlichen Bedarfes durch pauschale Erhöhungen des Regelsatzes durchgesetzt, was von der Rechtsprechung gebilligt wurde (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.3.1983, 8 A 313/82; VG Düsseldorf, Urteil v. 4.5.1998, 19 K 2531/95; VG Ansbach, Urteil v. 31.1.2002, AN 4 K 01.00713). Eine Anlehnung an die Pauschalbeträge i. S. v. § 39 SGB VIII ist sachgerecht (vgl. insoweit die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, veröffentlicht auf der Homepage des Deutschen Vereins im Internet unter http://www.deutscher-verein.de; vgl. zur Rechtslage in Niedersachsen auch Schwabe, ZfF 2013, 1, 16).
Rz. 96
Für die Anwendung der Vorschrift kommt es allein auf die Unterbringung in einer anderen Familie oder bei einer anderen Person als Mutter oder Vater an, wobei der Begriff der Unterbringung nicht legaldefiniert ist. Von einer Unterbringung wird ausgegangen, wenn die betroffene Person nicht mehr ohne Gefährdung ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer Entwicklung bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben kann (Gutzler, in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 19.2.2021, § 27a Rz. 108). Das Alter der untergebrachten Person war nach der bis zum 31.12.2016 gültigen Fassung unerheblich. In der Regel handelt es sich um sog. Pflegekindfälle, wobei der Anwendungsbereich der Norm wohl nicht groß ist. Denn die Unterbringung von Kindern erfolgt in diesem Zusammenhang häufig im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung (§ 33 SGB VIII), die vorrangig sind (vgl. dazu Wrackmeyer-Schoene, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 27a Rz. 66 m. w. N.; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 6. EL 2023, § 27a Rz. 76).
Rz. 97
Folgeänderung der Neufassung des Abs. 4 ist die Anfügung des Abs. 5 (BT-Drs. 18/9984 S. 90), in den der bislang in Abs. 4 Satz 3 enthaltene Regelungsinhalt zur Bedarfsdeckung bei Unterbringung in einer anderen Familie oder einer Pflegefamilie übernommen worden ist. Im Unterschied zum bisherigen Recht wird dabei folgende Klarstellung vorgenommen: Die besondere Bedarfsdeckung in einer anderen Familie wird entsprechend der geltenden Praxis auf Kinder und Jugendliche beschränkt ("minderjährige" Leistungsberechtigte). Damit deckt sich der persönliche Anwendungsbereich nun mit dem des § 37 SGB VIII, der die Zusammenarbeit zwischen Pflegeperson bzw. in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen einerseits und den Eltern andererseits bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie regelt.
Rz. 98
Sofern es in Ausnahmefällen bei jungen Erwachsenen zur Unterbringung in einer anderen Familie oder Pflegefamilie kommt, sind nach dem Willen des Gesetzgebers auch diese leistungsberechtigt nach dem Dritten Kapitel oder dem Vierten Kapitel des SGB XII (BT-Drs. 18/9984 S. 90). Dies bedeutet insbesondere, dass die in Ausnahmefällen sich ergebende besondere Form der Leistungsgewährung im Falle einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung einer Leistungsberechtigung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht entgegensteht.
Rz. 99
Die Bedarfe sind wie bei allen anderen Leistungsberechtigten festzustellen, wobei ggf. auch eine abweichende Regelsatzfestsetzung zu prüfen ist, wenn durch die Regelbedarfe abgedeckte Bedarfe ganz oder teilweise anderweitig gedeckt werden. Ferner sind bei Vorliegen einer Kranken- und Pflegeversicherung die angemessenen Beiträge als Bedarf anzuerkennen, weil bei diesem Personenkreis im Regelfall zu unterstellen ist, dass sie nich...