Rz. 6
Hintergrund für die gesetzliche (Neu-)Regelung war wiederum das Urteil des BVerfG v. 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Dort (Rz. 184 des Urteils) hatte es die bisherige Fortschreibung der Regelsätze (vgl. Rz. 3) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, 2. EL 03/2024, Stand: 06/2023, § 28a Rz. 2) und kritisiert, dass die bisherige Fortschreibung mit der Entwicklung des aktuellen Rentenwertes von der Bruttolohnentwicklung ausging und die sich daraus ergebende Veränderungsrate durch Dämpfungsfaktoren modifiziert wurde. Die Dämpfungsfaktoren dienten der Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung und stünden deshalb in keinem Zusammenhang mit dem Existenzminimum. Zudem ließe die Fortschreibung des aktuellen Rentenwerts die Preisentwicklung unberücksichtigt, was nicht sein dürfe, weil die Abdeckung des Existenzminimums bei steigenden Preisen zu höheren Aufwendungen führe (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rz. 186).
Rz. 7
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen geschaffen. Dabei hat er den weiteren Hinweis des BVerfG (Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rz. 165 f.) aufgenommen, wonach das Konsumniveau von der Nettoeinkommensentwicklung abhängig ist und das soziokulturelle Existenzminimum auch eine Teilhabe an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung beinhalte (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 122).
Rz. 8
Insgesamt handelt es sich – jedenfalls nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404 S. 122) – nur um eine Übergangsregelung. Der Gesetzgeber strebt danach langfristig an, den Fortschreibungsmechanismus an die jährliche Laufende Wirtschaftsrechnung (LWR) des Statistischen Bundesamts anzuknüpfen. Die LWR stelle die einzige statistische Grundlage dar, die jährlich Daten zur Entwicklung des regelbedarfsrelevanten Verbrauchs liefere und damit indirekt alle 3 maßgeblichen Parameter der Regelbedarfsermittlung (Verbrauch, Preise, Nettolohnentwicklung) abbilde. Allerdings müsse zuvor geprüft werden, ob über die LWR für die Fortschreibung valide Daten gewonnen werden könnten. Hierzu müsse zunächst ein beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt einen Nachweis erbringen.
Rz. 9
Ob diese gesetzgeberische Absicht weiterverfolgt wird, ist unklar (vgl. Gutzler, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 1.2.2020, § 28a Rz. 31). Die Materialien zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch greifen weder diesen Gedanken auf, noch lässt sich ihnen ein Hinweis auf Ergebnisse bzw. den Zwischenstand eines solchen Forschungsprojekts entnehmen (vgl. Gesetzentwurf BT-Drs. 18/9984 und Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung in BT-Drs. 18/10349).
Rz. 10
Abs. 1 bestimmt den Zeitpunkt der Fortschreibung. Abs. 2 enthält die genauen Bestimmungen zum Modus der Fortschreibung. Nach Abs. 3 ist das Statistische Bundesamt mit der Ermittlung bestimmter Werte zu beauftragen, die für die Fortschreibung von Bedeutung sind.
2.1 Zeitpunkt der Fortschreibung (Abs. 1, 2)
Rz. 11
Abs. 1 enthielt bisher – wie zuvor schon § 4 RSV (vgl. Rz. 3) – den Grundsatz, dass für Jahre, in denen keine Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 28 vorzunehmen ist, die Regelbedarfsstufen fortzuschreiben sind. Nunmehr gilt dies bis zur nächsten Neuermittlung. Die Fortschreibung erfolgt weiterhin zum 1.1. eines Jahres. Durch die damit verbundene Angleichung der Fortschreibungstermine an die Termine der gesetzlichen Ermittlung von Regelbedarfen (BT-Drs. 17/3404 S. 122) wird vermieden, dass in Jahren, für die die Regelbedarfe neu zu ermitteln sind, zwei Anpassungen stattfinden müssen. Insgesamt erfolgt durch dieses System unter Berücksichtigung von Abs. 2 Satz 2 eine Anpassung der existenzsichernden Leistungen an die Preis- und Lohnentwicklung mit einem halben Jahr Verspätung (vgl. Gutzler, in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 13.10.2023, § 28a Rz. 18). Diese grundsätzliche Verzögerung um ein halbes Jahr hat das BVerfG angesichts der für die Ermittlung der Veränderungsrate einschließlich des Verordnungsverfahrens gemäß § 40 erforderlichen Zeit als vertretbar erachtet (Beschluss v. 23.7.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rz. 139; vgl. hierzu Blüggel, jurisPR-SozR 22/2014, Anm. 1).
Rz. 12
Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass zum 1.1.2023 die Eurobeträge der zum 1.1.2022 fortgeschriebenen Regelbedarfsstufen zuerst mit der sich nach Abs. 3 ergebenden Veränderungsrate (Basisfortschreibung) und das Ergebnis mit der sich nach Abs. 4 ergebenden Veränderungsrate fortgeschrieben werden (ergänzende Fortschreibung). Für nachfolgende Fortschreibungen ab dem Jahr 2024 sind nach Satz 2 jeweils die nicht gerundeten Eurobeträge, die sich aus der Basisfortschreibung des Vorjahres nach Abs. 3 ergeben haben, erneut nach Abs. 3 fortzuschreiben, und die sich daraus ergebenden Eurobeträge mit der...