2.1 Gemeinsame Grundvoraussetzungen (Abs. 1)
2.1.1 Gewöhnlicher Aufenthalt im Inland
Rz. 10
Leistungsberechtigt sind (nur) Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Das ist also der Ort, an dem der Betreffende dauerhaft verweilt und wo der Schwerpunkt seiner persönlichen Lebensverhältnisse liegt (Blüggel, in: juris-PK SGB XII, § 41 Rz. 103). An einem Ort kann nur verweilen, wer dort physisch anwesend ist (objektiver Tatbestand). Ein Wohnsitz, d. h. eine Wohnung oder Unterkunft ist nicht erforderlich. Deshalb können auch Obdachlose ohne Behausungsmöglichkeit oder sonstige Wohnungslose (die sich z. B. in Wohnwagen, Notunterkünften, Übergangsheimen, Durchgangslagern, Bahnhofsmissionen, Obdachlosenasylen etc. aufhalten) grundsicherungsberechtigt sein (vgl. hierzu BVerwG, Urteil v. 18.3.1999, 5 C 11/98, NVwZ-RR 1999 S. 583; OVG Thüringen, Urteil v. 1.7.1997, 2 KO 38/96, NDV-RD 1998 S. 13, 15; Deibel, NWVBl 2003 S. 44, 45; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 30).
Rz. 10a
Der tatsächliche Aufenthalt kann nur an einem (einzigen) "Ort" bzw. in einem "Gebiet" bestehen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass es zum mehrfachen Bezug von Grundsicherungsleistungen käme (vgl. Seewald, in: KassKomm., SGB I, § 30 Rz. 16). "Ort" bezeichnet das Territorium einer politischen Gemeinde, während "Gebiet" den Wirkungsbereich eines (Land-)Kreises meint. Nichtsesshafte, die innerhalb eines Kreises umherziehen, können deshalb in diesem Kreis einen tatsächlichen Aufenthalt begründen. Pendelt der Betroffene zwischen verschiedenen Gebieten oder Orten, z. B. zwischen Wohn- und Arbeitsort, ist entscheidend, mit welchem Ort er seine überwiegenden Lebensinteressen verbunden hat.
2.1.1.1 Umstände des Aufenthalts
Rz. 10b
Der rein tatsächliche Aufenthalt an einem Ort reicht aber nicht aus, um einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (Kreiner, in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 41 Rz. 3). Hinzukommen muss der Wille, an diesem Ort zu verweilen (subjektiver Tatbestand). Dieser Domizilwille muss nach außen hin (für einen objektiven Beobachter) erkennbar sein. In welcher Form dieser Domizilwille zum Ausdruck kommt oder in welcher Weise er sich nach außen hin manifestiert, ist unerheblich; konkludente Handlungen genügen, wenn sie einen entsprechenden Rückschluss zulassen. Das Vorhandensein einer Wohnung, eines Wohnsitzes oder eine behördliche Anmeldung ist nicht notwendig, kann aber Hinweise auf einen entsprechenden Willen geben. Es kommt auf die Lebensumstände im Einzelfall an. Zu diesen "Umständen" sind alle Faktoren zu rechnen, die den örtlichen Lebensmittelpunkt einer Person (mit)bestimmen. Hierzu zählen vor allem persönliche, familiäre, berufliche oder wirtschaftliche Bindungen und bei Ausländern der ausländerrechtliche Status.
2.1.1.2 Verweildauer "nicht nur vorübergehend"
Rz. 10c
"Vorübergehend" ist ein Aufenthalt, wenn er von vornherein auf wenige Tage (BVerwG, Urteil v. 18.5.2000, 5 C 27/99, NDV-RD 2000 S. 103, 104) oder Wochen begrenzt ist und deshalb nicht ausreicht, um den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen (z. B. Unterkunft in Turnhalle nach Naturkatastrophe).
Rz. 10d
Eine Zeitspanne, bis zu der ein Aufenthalt "vorübergehend" ist, lässt sich nicht generell, sondern nur im Einzelfall festlegen. Verweilt eine Person mehrere Monate oder gar Jahre an einem Ort, wird man i. d. R. nicht mehr von einem vorübergehenden, sondern von einem dauerhaften Aufenthalt sprechen können. Entscheidend ist der Wille oder die Absicht des Betroffenen, einen Ort mit unbestimmter Zeitvorstellung ("zukunftsoffen") bis auf weiteres (BVerwG, Urteil v. 18.3.1999, 5 C 11/98, NDV-RD 1999 S. 73, 76) zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen (OVG Thüringen, Urteil v. 1.7.1997, 2 KO 38/96, NDV-RD 1998 S. 13, 15; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 29; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rz. 3; Mrozynski, SGB I, § 30 Rz. 19 f.). Die gesamten Gegebenheiten müssen auf eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit schließen lassen. Dagegen ist eine ständige, ununterbrochene Anwesenheit des Hilfebedürftigen im Inland keinesfalls erforderlich, so dass zeitweilige Abwesenheitszeiten den gewöhnlichen Aufenthalt nicht unterbrechen (Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, SGB I, § 30 Rz. 12; Seewald, in: KassKomm., SGB I, § 30 Rz. 9).
Rz. 10e
Deshalb stehen typische Besuchs- oder Urlaubsaufenthalte im Ausland dem Grundsicherungsanspruch nicht entgegen, wenn die Abwesenheit von vornherein zeitlich begrenzt ist und der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen im Inland aufrechterhalten wird (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 4; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rz. 3). Wer sich in Untersuchungs- oder Strafhaft, im Maßregelvollzug oder in stationärer Unterbringung befindet, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der jeweiligen Einrichtung (VG Karlsruhe, Beschluss v. 10.10.2003, 5 K 2580/03, n. v.; VG Halle, Beschluss v. 5.1.2005, 4 B 239/04, n. v.; Grube/Wahre...