Rz. 23
Da sich die Anforderungen der Arbeitswelt ständig wandeln, lässt sich der unbestimmte Rechtsbegriff der üblichen Bedingungen nicht abschließend konkretisieren. Benötigt ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen "Sonderbedingungen", so sind sie "üblich", wenn Arbeitsverträge zu diesen Konditionen in nennenswerter bzw. "beachtlicher" Zahl abgeschlossen werden. Diese "Sonderkonditionen" müssen keinesfalls in der Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse vorliegen (BSG, Urteile v. 20.6.1978, 7 RAr 45/77, SozR 4100 § 103 Nr. 17, und v. 30.5.1984, 5a RKn 18/83, SozR 2200 § 1247 Nr. 43).
Rz. 24
Welche Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt "üblich" sind, lässt sich in erster Linie den gesetzlichen Vorschriften und Tarifverträgen entnehmen, kann sich aber auch aus Betriebsvereinbarungen sowie betrieblicher oder sonstiger Übung im Arbeitsleben ergeben. Wie Arbeitsräume, -plätze und -umgebung eingerichtet und betrieben werden müssen, richtet sich z. B. nach der Arbeitsstättenverordnung, den sonst geltenden Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften, den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Regeln sowie den sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen. So kann ein Antragsteller, der wegen eines imperativen Stuhldrangs nur in der Nähe einer Toilette arbeiten darf, noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden; denn die Arbeitsstättenverordnung schreibt vor, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern "in der Nähe der Arbeitsplätze besondere Räume mit einer ausreichenden Zahl von Toiletten und Handwaschbecken (Toilettenräume) zur Verfügung stellen" muss (Ziff. 4.1 Abs. 1 Satz 2 des Anhangs zur Arbeitsstättenverordnung v. 12.8.2004, BGBl. I S. 2179; vgl. LSG Berlin, Urteil v. 10.3.2000, L 5 RJ 32/97).
Rz. 25
Ob unübliche Arbeitsbedingungen vorliegen, ist insbesondere dann zu prüfen, wenn der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen Arbeitsunterbrechungen braucht, die über seinen gesetzlichen Pausenanspruch hinausgehen. Nach § 4 Satz 1 und 2 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) v. 6.6.1994 (BGBl. I S. 1170) ist jedem Arbeitnehmer bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis zu 9 Stunden eine Ruhepause von 30 Minuten zu gewähren, die in 2 Zeitabschnitte von jeweils 15 Minuten aufgeteilt werden kann. Bei einer Arbeitszeit von unter 6 Stunden besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Ruhepausen (Dobberahn, Das neue Arbeitszeitgesetz in der Praxis, 2. Aufl. 1996, Rz. 52).
Rz. 26
Nicht jede Überschreitung des gesetzlichen Ruhepausenanspruchs führt jedoch zu betriebsunüblichen Bedingungen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG wird die Schwelle betriebsunüblicher Pausen vielmehr erst dann überschritten, wenn neben den betriebsüblichen Pausen zusätzliche Ruhepausen von zweimal 15 Minuten oder dreimal 10 Minuten notwendig sind (BSG, Urteil v. 6.6.1986, 5b RJ 42/85, SozR 2200 § 1246 Nr. 136; LSG NRW, Urteil v. 10.7.2000, L 3 RJ 55/98, NachrLVA HE 2000 S. 128, 130).
Rz. 27
Zusätzliche "echte" Ruhepausen liegen nur vor, wenn die Arbeit aus medizinischen Gründen vollständig ruhen muss (vgl. § 4 ArbZG; BAG, Urteil v. 27.2.1992, 6 AZR 478/90, DB 1992 S. 2247, 2248; Dobberahn, Das neue Arbeitszeitgesetz in der Praxis, 2. Aufl.1996, Rz. 50), der Arbeitnehmer also von jeder Dienstverpflichtung freizustellen ist. Deshalb ist immer zu ermitteln, zu welchem Zweck oder zu welcher Verrichtung die zusätzlichen Pausen notwendig sind. Benötigen Diabetiker beispielsweise Zwischenmahlzeiten oder Wirbelsäulenpatienten hin und wieder Entspannungs- und Lockerungsübungen, so ist stets zu prüfen, ob sie deshalb ihre Arbeit (z. B. in einer Pförtnerloge oder im Bürobereich) komplett einstellen müssen. Können sie ihre Zwischenmahlzeiten bzw. Übungen auch arbeitsbegleitend einnehmen bzw. durchführen, liegen keine "echten" Ruhepausen vor.
Rz. 28
Die Annahme betriebsunüblicher Ruhepausen hängt in erster Linie von der Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunterbrechungen ab. Betriebsunübliche Bedingungen liegen vor, wenn der Betroffene neben der gesetzlichen Ruhepause weitere Ruhepausen benötigt, die sich auf insgesamt 30 Minuten summieren (z. B. auf zweimal 15 Minuten oder dreimal 10 Minuten). Braucht der Antragsteller mehrere (betriebsunübliche) Ruhepausen von weniger als 10 Minuten (z. B. sechsmal 5 Minuten), so ist zu prüfen, ob dieser erhöhte (jeweils fünfminütige) Pausenbedarf über die Unterbrechungen hinausgeht, die mit jeder Arbeitsverrichtung notwendigerweise verbunden sind (z. B. Gang zur Toilette, Aufnahme von Getränken, Essen eines Snacks etc.). Man spricht in diesen Fällen von persönlicher Verteilzeit, die jeder Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern zur Erholung und für persönliche Bedürfnisse einräumt, weil niemand in der Lage ist, stundenlang ununterbrochen zu arbeiten (vgl. LSG NRW, Urteil v. 10.7.2000, L 3 RJ 55/98, NachrLVA HE 2000 S. 128, 130).
Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass in der Arbeitswirklichkeit angesichts der hohen Arbeitsverdi...