Rz. 48
Voll Erwerbsgeminderte haben nur dann Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Eine Besserung ist unwahrscheinlich, wenn ein Dauerzustand vorliegt. Hiervon ist i. d. R. auszugehen, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand bereits 9 Jahre oder länger besteht (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 4 HS 2 SGB VI; Kreiner, in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 41 Rz. 15). Vor Ablauf von 9 Jahren ist eine Besserung unwahrscheinlich, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten eine Besserung auszuschließen ist, durch die sich das qualitative oder quantitative Leistungsvermögen steigern lässt (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 26; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rz. 7). Es müssen schwerwiegende medizinische Gründe vorliegen, um einen Dauerzustand zu prognostizieren (Jörg, in: Kreikebohm, SGB VI, § 102 Rz. 5).
Die Gründe für die Annahme eines Dauerzustands müssen gewichtiger sein als die dagegen sprechenden (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 27). Die Prognose ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (Niesel, in: KassKomm., SGB VI, § 102 Rz. 13). Ist ungewiss, ob sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit beheben lässt, geht dies zulasten des Antragstellers. Er trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass eine Besserung seines Leistungsvermögens unwahrscheinlich ist (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 27).
Rz. 49
Bei der Prognose ist ein objektiver Maßstab anzulegen; subjektive Vorbehalte des Antragstellers gegenüber bestimmten therapeutischen Maßnahmen bleiben außer Betracht. Unerheblich ist auch, ob die therapeutischen Eingriffe "duldungspflichtig" i. S. v. § 65 Abs. 2 SGB I sind; denn es geht hier nicht um Mitwirkungspflichten des Bedürftigen, sondern allein um die Frage, ob sein Zustand nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse gebessert werden kann. Lässt sich sein zeitliches Leistungsvermögen beispielsweise dadurch steigern, dass er sich einer Kniegelenkoperation unterzieht, so ist die Besserung seines Leistungspotentials keinesfalls unwahrscheinlich (so auch Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rz. 7; Renn, in: LPK-GSiG, § 1 Rz. 21). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein sorgfältiger, gewissenhafter und erfahrener Arzt nach den medizinischen Standards seines Fachgebiets und den Regeln der ärztlichen Kunst von einer Operation abraten würde (etwa weil die Operationsrisiken bei einem multimorbiden Patienten zu groß sind).
Rz. 50-66
(unbesetzt)